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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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›Bonjour, notre bonne Marie!‹ Sowie diese sie aber sah oder hörte, kehrte ihre Lebenskraft zurück, und sie versuchte mit Anstrengung, ohne auf die alten Frauen zu hören, sich aufzurichten und auf den Ellbogen zu stützen, nickte den Kindern zu und dankte ihnen. Sie brachten ihr wie früher mitunter ein paar gute Bissen mit; aber sie aß fast gar nichts mehr. Ich versichere Ihnen, dank den Kindern ist sie beinah glücklich gestorben. Die Kinder bewirkten, daß sie ihr schweres Leid vergaß; sie hatte das Gefühl, daß sie von ihnen Vergebung empfangen habe; denn sie hielt sich bis zu ihrem Lebensende für eine große Sünderin. Die Kinder schlugen gleichsam wie kleine Vögel mit den Flügelchen an das Fenster der Kranken und riefen ihr jeden Morgen zu: ›Nous t'aimons, Marie.‹ Sie starb sehr bald. Ich hatte geglaubt, sie würde weit länger leben. Am Tage vor ihrem Tode kam ich vor Sonnenuntergang zu ihr, sie schien mich zu erkennen, und ich drückte ihr zum letzten Male die Hand; ach, wie ausgetrocknet war diese Hand! Und am folgenden Morgen kam unerwartet jemand zu mir und sagte, daß Marie gestorben sei. Nun ließen sich die Kinder nicht zurückhalten: sie schmückten ihren Sarg reich mit Blumen und setzten ihr einen Kranz auf den Kopf. Der Pastor schmähte in der Kirche die Tote nicht mehr; die wenigen Menschen, die sich zur Beerdigung eingefunden hatten, waren nur aus Neugier gekommen; aber als der Sarg weggetragen werden sollte, da stürzten die Kinder alle mit einem Male herbei, um ihn selbst zu tragen. Da dazu ihre Kraft nicht ausreichte, halfen einige von ihnen wenigstens nach Möglichkeit, und die übrigen liefen hinter dem Sarge her, und alle weinten. Maries Grab ist seitdem von den Kindern beständig schön in Ordnung gehalten worden; sie schmücken es jedes Jahr mit Blumen und haben ringsherum Rosensträucher gepflanzt. Aber von dieser Beerdigung an begann mich das ganze Dorf um der Kinder willen zu befehden. Die Hauptanstifter waren der Pastor und der Schullehrer. Den Kindern wurde jeder Verkehr mit mir streng verboten, und Schneider verpflichtete sich sogar, darüber zu wachen. Wir kamen aber doch zusammen und verständigten uns von weitem durch Zeichen, auch schickten sie mir kleine Briefchen. In der folgenden Zeit schob sich das alles wieder zurecht; aber damals fühlten wir uns ganz wohl dabei, und ich war den Kindern durch diese Verfolgung sogar noch nähergerückt. Im letzten Jahr versöhnte ich mich sogar beinah mit Thibaut und dem Pastor. Schneider aber disputierte mit mir viel über meine verderbliche ›Methode‹, mit den Kindern umzugehen. Aber von einer ›Methode‹ war bei mir ja gar nicht die Rede! Zuletzt – es war schon kurz vor meiner Abreise – sprach Schneider mir gegenüber einen recht seltsamen Gedanken aus: er sagte zu mir, er habe jetzt die sichere Überzeugung gewonnen, daß ich selbst ein vollständiges Kind sei; ich hätte nur an Wuchs und Gesicht Ähnlichkeit mit einem Erwachsenen; aber was die Entwicklung der Seele, des Charakters und vielleicht auch des Verstandes anlange, sei ich kein Erwachsener, und ich würde so bleiben, auch wenn ich sechzig Jahre alt würde. Ich lachte darüber herzlich; er hat natürlich unrecht, denn ich bin ja doch kein kleines Kind! Eines ist allerdings daran wahr, nur eines: ich bin wirklich nicht gern mit Erwachsenen, mit Großen zusammen – ich habe das schon längst an mir beobachtet –; ich bin nicht gern mit ihnen zusammen, weil ich sie nicht verstehe. Was sie auch mit mir sprechen, und wie gut sie auch gegen mich sein mögen, ich fühle mich doch stets in ihrer Gesellschaft bedrückt und bin heilfroh, wenn ich so bald wie möglich zu meinen Kameraden gehen kann, und immer waren die Kinder meine Kameraden, aber nicht, weil ich selbst ein Kind war, sondern weil es mich einfach zu den Kindern hinzog. Wenn ich, noch am Anfang meines Aufenthaltes in dem Dorf, allein in die Berge gegangen war, um meinem Kummer nachzuhängen, und wenn ich dann, namentlich mittags, wo sie aus der Schule kamen, diesem lärmenden Schwarm begegnete, der mit seinen Bücherranzen und Schiefertafeln schreiend, lachend und spielend einherrannte – dann strebte auf einmal meine ganze Seele zu diesen Kindern hin. Ich weiß nicht, wie es kam, aber ich empfand bei jeder Begegnung mit ihnen ein außerordentlich starkes Gefühl von Glück. Ich blieb stehen und lachte vor Freude, wenn ich sah, wie ihre kleinen, flinken Beinchen in ständiger Bewegung waren, wie

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