Der Idiot
weibliche Dienerschaft) und hörte zu seiner Verwunderung seine Bitte, ihn zu melden, ohne jedes Erstaunen an. Weder seine schmutzigen Stiefel noch sein breitkrempiger Hut, noch sein ärmelloser Mantel, noch seine verlegene Miene machten sie auch nur im geringsten stutzig. Sie nahm ihm den Mantel ab, forderte ihn auf, im Empfangszimmer zu warten, und ging sogleich, um ihn zu melden.
Die Gesellschaft, die sich bei Nastasja Filippowna versammelt hatte, bestand aus ihren ständigen Bekannten, die immer bei ihr verkehrten. Es waren sogar nur ziemlich wenige Gäste anwesend im Vergleich mit den Veranstaltungen, die in früheren Jahren an demselben Tage stattgefunden hatten. Erschienen waren erstens und als Hauptpersonen Afanassij Iwanowitsch Tozkij und Iwan Fjodorowitsch Jepantschin; beide benahmen sich sehr liebenswürdig, aber beide befanden sich in einer gewissen geheimen Unruhe durch die nur schlecht verhehlte Spannung auf die versprochene Entscheidung über Ganja. Außer ihnen war selbstverständlich auch Ganja da – sehr düster, nachdenklich und höchst »unliebenswürdig«; er stand meist in einiger Entfernung abseits und schwieg. Was Warja anlangt, so hatte er sich dafür entschieden, sie lieber nicht mitzubringen, aber Nastasja Filippowna tat ihrer gar nicht Erwähnung; dagegen fing sie unmittelbar nach Ganjas Begrüßung an, von der Szene zu sprechen, die er vorher mit dem Fürsten gehabt hatte. Der General, der noch nichts davon gehört hatte, interessierte sich sehr dafür. Ganja erzählte in trockenem, ruhigem Ton, aber vollkommen wahrheitsgemäß alles, was sich vor kurzem begeben hatte, und daß er bereits zum Fürsten hingegangen sei, um ihn um Verzeihung zu bitten. Dabei sprach er mit großer Lebhaftigkeit seine Meinung dahin aus, wenn man den Fürsten einen Idioten nenne, so sei das sehr sonderbar und ein Grund dafür unerfindlich; er sei vollständig entgegengesetzter Ansicht und halte ihn für einen sehr selbständig denkenden Menschen. Nastasja Filippowna hörte diese Äußerung mit großer Aufmerksamkeit an und verfolgte neugierig Ganjas Mienenspiel, aber das Gespräch ging sogleich auf Rogoshin über, der bei den Vorgängen des Vormittags so stark beteiligt gewesen war und für den Afanassij Iwanowitsch und Iwan Fjodorowitsch sich gleichfalls äußerst lebhaft zu interessieren begannen. Besondere Mitteilungen über Rogoshin zu machen, war, wie sich herausstellte, Ptizyn in der Lage, der sich in dessen geschäftlichen Angelegenheiten mit ihm fast bis neun Uhr abends abgemüht hatte. Rogoshin hatte mit aller Energie darauf bestanden, noch heute hunderttausend Rubel zu bekommen. »Er war allerdings betrunken«, bemerkte Ptizyn dabei, »aber trotz aller Schwierigkeiten werden die hunderttausend Rubel wohl für ihn beschafft werden, nur weiß ich nicht, ob heute noch ganz, aber es arbeiten viele daran, Trepalow, Kinder, Biskup; Prozente gibt er, soviel einer verlangt, natürlich alles in seiner Trunkenheit und in der ersten Freude...«, schloß Ptizyn.
Alle diese Mitteilungen wurden mit Interesse entgegengenommen, zum Teil allerdings mit düsterem Interesse; Nastasja Filippowna schwieg und wünschte offenbar nicht, sich zu äußern; auch Ganja redete nicht. General Jepantschin beunruhigte sich im stillen nicht weniger als die andern; der Perlenschmuck, den er schon am Vormittag überreicht hatte, war mit sehr kühler Freundlichkeit und sogar mit einem eigentümlichen Lächeln in Empfang genommen worden. Ferdyschtschenko war von allen Gästen der einzige, der sich in heiterer, festtäglicher Stimmung befand; er lachte manchmal laut ohne sichtbaren Grund, lediglich weil er die Rolle des Spaßmachers übernommen hatte. Afanassij Iwanowitsch selbst, der für einen geistreichen, eleganten Plauderer galt und in früherer Zeit bei diesen Abendgesellschaften gewöhnlich das Gespräch geleitet hatte, befand sich offenbar nicht in der rechten Stimmung und sogar in einer ihm sonst fremden Verwirrung. Die andern Gäste, die übrigens wenig zahlreich waren (ein jämmerlicher, alter Lehrer, der Gott weiß weshalb eingeladen war, ein unbekannter, sehr jugendlicher Mensch, der furchtbar schüchtern war und die ganze Zeit über schwieg, eine gewandte, etwa vierzigjährige Dame, Schauspielerin, und eine außerordentlich hübsche, sehr schön und luxuriös gekleidete und überaus stille junge Frau), vermochten das Gespräch nicht sonderlich zu beleben, ja, sie wußten manchmal gar nicht, wovon sie sprechen
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