Der Idiot
empfange, weil er gleich bei seiner ersten Anwesenheit auf Tozkij einen unerträglichen Eindruck gemacht hatte. Ganja seinerseits mußte sich von ihm ein endlose Reihe von Martern gefallen lassen, und in dieser Hinsicht wußte sich Ferdyschtschenko seiner Gönnerin sehr nützlich zu machen.
»Zuerst werde ich vom Fürsten verlangen, daß er uns ein modernes Lied vorsingt«, bemerkte Ferdyschtschenko und paßte auf, was Nastasja Filippowna dazu sagen würde.
»Ich glaube nicht, daß er das tun wird, Ferdyschtschenko, und möchte Sie bitten, sich nicht zu sehr ins Zeug zu legen.«
»Ah, ah! Nun, wenn er unter Ihrem besonderen Schutz steht, dann werde auch ich mich erweichen lassen...«
Aber Nastasja Filippowna stand, ohne hinzuhören, auf und ging selbst dem Fürsten entgegen.
»Ich habe bedauert«, sagte sie, plötzlich vor ihn hintretend, »daß ich vorhin in der Eile vergessen habe, Sie einzuladen, und ich freue mich sehr, daß Sie mir jetzt selbst die Gelegenheit geben, Ihr entschlossenes Verhalten zu loben und Ihnen zu danken.«
Während sie das sagte, blickte sie den Fürsten forschend an, bemüht, über den Grund seines Kommens Klarheit zu erlangen.
Der Fürst hätte auf ihre freundlichen Worte vielleicht etwas erwidert, aber er war dermaßen von ihrer Erscheinung überrascht und geblendet, daß er kein Wort herausbringen konnte. Nastasja Filippowna bemerkte dies mit Vergnügen. Sie war an diesem Abend in großer Toilette und machte einen außerordentlich starken Eindruck. Sie ergriff ihn bei der Hand und führte ihn zu den Gästen. Unmittelbar vor dem Eingang in den Salon blieb der Fürst plötzlich stehen und flüsterte ihr in großer Erregung hastig zu:
»An Ihnen ist alles vollkommen... sogar Ihre Abgezehrtheit und Blässe... man möchte Sie sich gar nicht anders vorstellen... Ich hatte ein so starkes Verlangen, zu Ihnen zu gehen... ich ... verzeihen Sie mir...«
»Bitten Sie nicht um Verzeihung«, erwiderte lachend Nastasja Filippowna, »dadurch wird Ihre ganze Sonderbarkeit und Originalität zerstört. Und es wird doch mit Recht über Sie gesagt, daß Sie ein sonderbarer Mensch seien. Also Sie halten mich für vollkommen, ja?«
»Ja.«
»Sie sind zwar sonst ein Meister im Erraten, aber hier haben Sie sich geirrt. Ich werde Sie noch heute daran erinnern.«
Sie stellte den Fürsten den Gästen vor, von denen er der größeren Hälfte bereits bekannt war. Tozkij sagte ihm sogleich eine Liebenswürdigkeit. Alle schienen etwas lebendiger zu werden, alle begannen auf einmal zu reden und zu lachen. Nastasja Filippowna wies dem Fürsten einen Platz an ihrer Seite zu.
»Aber was ist denn eigentlich an dem Erscheinen des Fürsten so Verwunderliches?« überschrie Ferdyschtschenko alle. »Die Sache ist doch klar, die Sache spricht für sich selbst!«
»Die Sache ist nur zu klar und spricht nur zu sehr für sich selbst!« sagte auf einmal Ganja, der bisher geschwiegen hatte. »Ich habe den Fürsten bis heute fast ununterbrochen beobachtet, von dem Augenblick an, als er in Iwan Fjodorowitschs Wohnung zum erstenmal Nastasja Filippownas Bild auf dem Tische liegen sah. Ich erinnere mich sehr genau, daß mir gleich damals ein Gedanke an das kam, was mir jetzt zur vollen Überzeugung geworden ist, und was mir, beiläufig gesagt, der Fürst selbst gestanden hat!«
Ganja hatte das alles sehr ernst, ohne die geringste Spur von Scherzhaftigkeit, ja mit finsterer Miene gesagt, was einen ziemlich seltsamen Eindruck machte.
»Ich habe Ihnen keine Geständnisse gemacht«, antwortete der Fürst errötend, »ich habe nur eine Frage beantwortet, die Sie an mich richteten.«
»Bravo, bravo!« rief Ferdyschtschenko. »Das ist wenigstens aufrichtig gesprochen, aufrichtig und zugleich schlau!«
Alle lachten laut.
»Schreien Sie doch nicht so, Ferdyschtschenko«, sagte Ptizyn mit gedämpfter Stimme unwillig zu ihm.
»Solche Bravourstücke hätte ich wahrhaftig nicht von Ihnen erwartet, Fürst«, bemerkte Iwan Fjodorowitsch. »Zu welcher Menschenklasse muß man Sie danach rechnen? Und ich hatte Sie für einen Philosophen gehalten! Ja, ja, die stillen Wässerchen!«
»Und daraus, daß der Fürst bei einem harmlosen Scherz rot wird wie ein unschuldiges junges Mädchen, schließe ich, daß er als ein ehrenwerter Jüngling in seinem Herzen die löblichsten Absichten hegt«, sagte, oder richtiger lispelte auf einmal ganz unerwartet der zahnlose siebzigjährige Lehrer, der bis dahin vollständig stumm gewesen war und von dem
Weitere Kostenlose Bücher