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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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vielleicht eben deswegen, weil er sonderbar und beinah undurchführbar war, sie reizte. Wenn Nastasja Filippowna sich einmal entschlossen hatte, ihre Wünsche auszusprechen, so ließ sie sich auch nicht mehr zurückhalten und kannte keine Rücksichten, mochten auch diese Wünsche noch so kapriziös und für sie selbst ganz nutzlos sein. Und jetzt befand sie sich in einer Art von hysterischem Zustand, sie entwickelte eine unruhige Geschäftigkeit und lachte krampfhaft und in einzelnen Anfällen, namentlich bei den Einwendungen des beunruhigten Tozkij. Ihre dunklen Augen blitzten, auf ihren blassen Wangen traten zwei rote Flecken hervor. Der bedrückte, mürrische Gesichtsausdruck mancher ihrer Gäste steigerte ihren spottlustigen Wunsch vielleicht noch mehr; vielleicht gefiel ihr gerade der Zynismus und die Grausamkeit, die in dieser Idee lagen. Manche waren sogar überzeugt, daß sie da einen besonderen Zweck verfolge. Indessen begannen die Gäste sich einverstanden zu erklären: jedenfalls war die Sache interessant und für viele sogar sehr verlockend. Am eifrigsten von allen zeigte sich Ferdyschtschenko.
    »Aber wenn nun etwas von der Art ist, daß man es in Damengesellschaft unmöglich erzählen kann?« bemerkte der schweigsame Jüngling schüchtern.
    »Dann erzählen Sie es nicht! Als ob es nicht auch ohne das genug schlechte Handlungen gäbe!« erwiderte Ferdyschtschenko. »Ei, ei, Sie junger Mann!«
    »Aber ich weiß gar nicht, welche meiner Handlungen ich für die schlechteste halten soll«, warf die gewandte Dame ein.
    »Die Damen sind von der Pflicht zu erzählen dispensiert«, wiederholte Ferdyschtschenko, »aber eben nur dispensiert: wenn sie sich aus freien Stücken dazu bereit finden, so wird das mit dankbarer Anerkennung aufgenommen. Die Herren aber werden nur dispensiert, wenn sie durchaus nicht wollen.«
    »Aber wie soll ich da beweisen, daß ich nicht lüge?« fragte Ganja. »Wenn ich aber lüge, so verliert das ganze Spiel seinen Sinn. Und wer wird denn nicht lügen? Jeder wird es unfehlbar tun.«
    »Aber auch das ist schon reizvoll, zu sehen, wie jemand dann lügt. Und was dich betrifft, Ganja, so brauchst du dich vor dem Lügen nicht besonders zu fürchten, da deine schlechteste Handlung sowieso schon allen bekannt ist. Und denken Sie nur, meine Herrschaften«, rief Ferdyschtschenko ganz enthusiastisch, »denken Sie nur, mit was für Augen wir nachher einander ansehen werden, zum Beispiel morgen, nach diesen Erzählungen!«
    »Aber ist's möglich? Soll denn das wirklich Ernst sein, Nastasja Filippowna?« fragte Tozkij würdevoll.
    »Wer sich vor dem Wolf fürchtet, soll nicht in den Wald gehen!« versetzte Nastasja Filippowna lächelnd.
    »Aber erlauben Sie, Herr Ferdyschtschenko, wie kann man denn daraus ein Gesellschaftsspiel machen?« fuhr Tozkij, der immer unruhiger wurde, fort. »Ich versichere Ihnen, daß solche Dinge nie gelingen; Sie sagen ja selbst, daß es schon einmal mißglückt ist.«
    »Wieso mißglückt? Ich habe das vorige Mal erzählt, wie ich drei Rubel gestohlen habe, das habe ich ganz einfach und ohne weiteres erzählt!«
    »Wenn auch. Aber Sie konnten es doch unmöglich so erzählen, daß es wahrscheinlich klang und man es Ihnen glaubte. Und Gawrila Ardalionowitsch hat ganz richtig bemerkt, daß das Spiel jeden Sinn verliert, sobald man der Erzählung anzumerken glaubt, daß sie nicht wahr ist. Die Wahrheit wird dabei nur dann gesagt werden, wenn sich jemand zufällig in einer eigenartigen, unfeinen, prahlerischen Stimmung befindet, einer Stimmung, die hier undenkbar ist und durchaus unpassend sein würde.«
    »Aber was sind Sie für ein feinfühliger Mensch, Afanassij Iwanowitsch! Sie setzen mich geradezu in Erstaunen!« rief Ferdyschtschenko. »Denken Sie nur, meine Herrschaften, durch seine Bemerkung, ich hätte von meinem Diebstahl nicht so erzählen können, daß es glaubhaft geklungen habe, deutet Afanassij Iwanowitsch auf die feinste Weise an, daß ich auch tatsächlich nicht imstande gewesen sei, den Diebstahl auszuführen (denn das so geradeheraus zu sagen, wäre unpassend), obwohl er vielleicht im stillen ganz davon überzeugt ist, daß Ferdyschtschenko es sehr wohl habe fertigbringen können zu stehlen! Aber zur Sache, meine Herren, zur Sache, die Lose sind eingesammelt, und auch Sie, Afanassij Iwanowitsch, haben das Ihrige hineingelegt, also schließt sich niemand aus. Nun nehmen Sie die Ziehung vor, Fürst!«
    Der Fürst fuhr schweigend mit der Hand in den Hut und

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