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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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zog die Lose heraus, als erstes das Ferdyschtschenkos, als zweites das Ptizyns, als drittes das des Generals, als viertes das Afanassij Iwanowitschs, als fünftes das seinige, als sechstes das Ganjas und so weiter. Die Damen hatten keine Lose hineingelegt.
    »O Gott, welches Unglück!« rief Ferdyschtschenko. »Und ich hatte gedacht, zuerst würde der Fürst drankommen und dann der General! Aber Gott sei Dank, wenigstens kommt Iwan Petrowitsch nach mir, da werde ich für meine Offenherzigkeit entschädigt werden. Nun, meine Herren, ich bin natürlich verpflichtet, ein gutes Beispiel zu geben, aber am meisten bedaure ich in diesem Augenblick, daß ich ein so unbedeutender Mensch bin und nichts Bemerkenswertes an mir habe; selbst meine dienstliche Rangstellung ist eine ganz niedrige; was für ein Interesse kann es denn erwecken, daß Ferdyschtschenko eine häßliche Handlung begangen hat? Und welches ist denn meine schlechteste Handlung? Da liegt ein embarras de richesse vor. Soll ich etwa wieder von demselben Diebstahl erzählen, um Afanassij Iwanowitsch davon zu überzeugen, daß man stehlen kann, ohne eigentlich ein Dieb zu sein?...«
    »Sie überzeugen mich auch davon, Herr Ferdyschtschenko, daß man tatsächlich ein bis zur Berauschtheit gehendes Vergnügen empfinden kann, wenn man von seinen unsauberen Handlungen erzählt, obwohl man nicht danach gefragt ist... Übrigens aber... Verzeihen Sie, Herr Ferdyschtschenko!«
    »Fangen Sie an, Ferdyschtschenko! Sie schwatzen schrecklich viel unnützes Zeug und werden nie zu Ende kommen!« befahl Nastasja Filippowna gereizt und ungeduldig.
    Alle bemerkten, daß sie nach ihrem anfallartigen Lachen von vorhin plötzlich geradezu düster, mürrisch und reizbar geworden war, aber nichtsdestoweniger bestand sie hartnäckig und despotisch darauf, daß ihrer absurden Laune gehorcht werde. Afanassij Iwanowitsch litt furchtbare Qualen. Er war auch auf Iwan Fjodorowitsch wütend, der, als wäre nichts geschehen, beim Champagner saß und vielleicht sogar etwas zu erzählen beabsichtigte, wenn er an die Reihe kam.

XIV
    »Ich bin eben nicht geistreich, Nastasja Filippowna, daher schwatze ich unnützes Zeug!« rief Ferdyschtschenko und schickte sich an zu erzählen. »Wäre ich so geistreich wie Afanassij Iwanowitsch oder Iwan Petrowitsch, so würde ich heute wie diese beiden Herren schweigend dasitzen. Gestatten Sie eine Frage, Fürst: wie denken Sie darüber? Ich bin der Meinung, daß es auf der Welt weit mehr Diebe gibt als Leute, die keine Diebe sind, und daß es keinen so ehrenhaften Menschen gibt, der nicht wenigstens einmal in seinem Leben etwas gestohlen hätte. Das ist meine Anschauung, aus der ich übrigens keineswegs den Schluß ziehe, daß alle ohne Ausnahme Diebe sind, obwohl ich wirklich manchmal die größte Lust hätte, das daraus zu folgern. Wie denken Sie darüber?«
    »Pfui, wie dumm Sie reden«, rief Darja Alexejewna, »und was ist das für Unsinn! Es ist undenkbar, daß alle Menschen etwas gestohlen haben sollten; ich habe nie etwas gestohlen.«
    »Sie haben nie etwas gestohlen, Darja Alexejewna, aber was wird der Fürst sagen, der auf einmal ganz rot geworden ist?«
    »Es scheint mir, daß Sie recht haben, aber stark übertreiben«, versetzte der Fürst, der tatsächlich aus nicht recht ersichtlichem Grunde errötet war.
    »Und Sie selbst, Fürst, haben nichts gestohlen?«
    »Pfui, wie lächerlich das alles ist! Bedenken Sie, Herr Ferdyschtschenko, was Sie da reden!« mischte sich der General ein.
    »Die Sache ist einfach die: nun es soweit ist, schämen Sie sich zu erzählen, und darum wollen Sie den Fürsten mit sich zusammenkuppeln, um so mehr, als er so dienstfertig ist«, schalt Darja Alexejewna.
    »Ferdyschtschenko, entweder erzählen Sie, oder schweigen Sie, und beschränken Sie Ihre Menschenkenntnis auf Ihre eigene Person! Sie erschöpfen die größte Geduld«, sagte Nastasja Filippowna in scharfem, ärgerlichem Ton.
    »Sofort, Nastasja Filippowna! Wenn sogar der Fürst es eingestanden hat (denn ich bleibe dabei: der Fürst hat es so gut wie eingestanden), was würde dann erst ein anderer (ich nenne keinen Namen) sagen, vorausgesetzt, daß er die Wahrheit reden will? Was nun mich betrifft, so habe ich eigentlich nichts weiter zu erzählen, die Sache ist sehr einfach, sehr dumm und sehr häßlich. Aber ich gebe Ihnen die Versicherung, daß ich kein Dieb bin; ich habe gestohlen, ohne zu wissen, wie ich dazu gekommen bin. Es war vor zwei Jahren, in der

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