Der Idiot
nationales Naturprodukt gezeigt oder, richtiger gesagt, zum Anschauen vorgestreckt: eine gewaltige, sehnige, knorrige, mit einer Art von rötlichem Flaum bewachsene Faust, und es war allen klargeworden, daß, wenn dieses echt nationale Naturprodukt, ohne danebenzugehen, auf ein Lebewesen niederfiel, von diesem tatsächlich nur ein nasser Fleck übrigblieb.
Im vollen Wortsinn »fertig« war ebenso wie am Tage auch diesmal keiner von ihnen; das war ein Erfolg der persönlichen Bemühungen Rogoshins, dem den ganzen Tag über sein Besuch bei Nastasja Filippowna als Ziel vor Augen geschwebt hatte. Er selbst war wieder fast ganz nüchtern geworden, aber dafür war er beinahe betäubt von all den Eindrücken, die ihm dieser seltsame, mit keinem seiner früheren Lebenstage vergleichbare Tag gebracht hatte. Nur eine Absicht hatte er jede Minute, jede Sekunde im Auge gehabt, im Gedächtnis behalten, im Herzen gehegt, und um dieses Eine auszuführen, hatte er die ganze Zeit von fünf Uhr nachmittags bis elf Uhr abends in größter Aufregung und Unruhe damit verbracht, mit Leuten wie Biskup und Kinder zu verhandeln, die gleichfalls fast den Verstand verloren hatten und in seinem Interesse wie die Besessenen umherrannten. Aber die hunderttausend Rubel in bar, auf die Nastasja Filippowna beiläufig, spöttisch und völlig unklar angespielt hatte, waren doch zusammengebracht worden, allerdings zu Prozenten, von denen sogar Biskup selbst schamhafterweise mit Kinder nicht laut, sondern nur flüsternd sprach.
Rogoshin schritt wie am Tage auch jetzt an der Spitze aller einher, die übrigen gingen hinter ihm, zwar im vollen Bewußtsein ihrer Vorzüge, aber doch einigermaßen ängstlich. Hauptsächlich fürchteten sie sich, Gott weiß weshalb, vor Nastasja Filippowna. Manche von ihnen dachten sogar, man werde sie alle unverzüglich die Treppe hinunterwerfen. Zu denen, die solche Befürchtungen hegten, gehörte unter andern der Stutzer und Herzenbezwinger Saljoshew. Die andern aber, und ganz besonders der Herr mit den Fäusten, hegten, wenn sie es auch nicht laut aussprachen, doch in ihrem Herzen eine tiefe Verachtung, ja einen Haß gegen Nastasja Filippowna und gingen zu ihr, als ob sie gegen eine zu belagernde Stadt vorrückten. Aber die prachtvolle Einrichtung der ersten beiden Zimmer, die kostbaren Gegenstände, wie sie dergleichen nie gesehen hatten, ja nicht einmal vom Hörensagen kannten, die auserlesenen Möbel, die große Venusstatue, alles das rief bei ihnen eine gewisse Ehrfurcht, ja beinah Angst hervor. Das konnte sie aber natürlich alle nicht daran hindern, sich allmählich mit frecher Neugier trotz ihrer Angst hinter Rogoshin her in den Salon zu drängen; aber als der Herr mit den Fäusten, der »Bittsteller« und einige andere den General Jepantschin unter den Gästen bemerkten, wurden sie im ersten Augenblick dermaßen mutlos, daß sie sogar anfingen, sich sachte nach dem andern Zimmer zurückzuziehen. Nur Lebedew, der am meisten Mut und Selbstvertrauen besaß, ging beinah an Rogoshins Seite, denn er wußte, was es bedeutet, ein Kapital von einer Million und vierhunderttausend Rubeln im Besitz und hunderttausend augenblicklich in Händen zu haben. Es muß übrigens hervorgehoben werden, daß sie alle, sogar der sachverständige Lebedew nicht ausgenommen, sich über die Grenzen ihrer Macht einigermaßen im unklaren waren und nicht wußten, ob ihnen jetzt tatsächlich alles erlaubt sei oder nicht. Lebedew hätte in manchen Augenblicken darauf schwören mögen, daß sie jetzt alles wagen dürften, aber in andern empfand er ein unruhiges Bedürfnis, sich im stillen für alle Fälle an einige Paragraphen der Gesetzsammlung, und namentlich an solche ermutigenden und beruhigenden Inhalts, zu erinnern.
Auf Rogoshin machte Nastasja Filippownas Salon den entgegengesetzten Eindruck wie auf alle seine Gefährten. Kaum hatte er die Portiere zurückgeschlagen und Nastasja Filippowna erblickt, als alles übrige für ihn zu existieren aufhörte, gerade wie am Morgen, sogar in noch höherem Grade als vorhin. Er wurde blaß und blieb einen Augenblick stehen; man konnte erraten, daß sein Herz furchtbar klopfte. Schüchtern und fassungslos sah er einige Sekunden lang Nastasja Filippowna mit unverwandten Blicken an. Auf einmal ging er, als wäre ihm alle Denkkraft abhanden gekommen, beinah schwankend an den Tisch heran; unterwegs stieß er an Ptizyns Stuhl und trat mit seinen schmutzigen Stiefeln auf den Spitzenbesatz des prachtvollen
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