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Der Idiot

Der Idiot

Titel: Der Idiot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fjodor M. Dostojewskij
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finden. Ohne sich vorzudrängen, ohne sich an dem erbitterten Gezänk und dem müßigen Gerede der Parteien zu beteiligen und ohne sich zu den Ersten zu rechnen, besaß der Fürst doch ein recht gründliches Verständnis für einen guten Teil der Entwicklung, die die letzte Zeit gebracht hatte. Er hatte früher ein Amt bekleidet und dann bei der ländlichen Selbstverwaltung mitgewirkt. Außerdem war er ein nützlicher Korrespondent mehrerer gelehrter russischer Gesellschaften. Im Verein mit einem bekannten Techniker hatte er durch das von ihm gesammelte statistische Material und die von ihm angestellten Untersuchungen bewirkt, daß eine der wichtigsten projektierten Eisenbahnen eine zweckmäßigere Richtung erhielt. Er war etwa fünfunddreißig Jahre alt, gehörte zur »allervornehmsten Gesellschaft« und besaß außerdem ein »schönes, solides, sicheres« Vermögen, wie sich der General ausdrückte, der anläßlich einer sehr wichtigen geschäftlichen Angelegenheit mit dem Fürsten bei seinem Chef, dem Grafen, zusammengetroffen war und seine Bekanntschaft gemacht hatte. Der Fürst ging infolge einer gewissen besonderen Neugierde keiner Gelegenheit, mit russischen »Geschäftsleuten« bekannt zu werden, aus dem Wege. Es machte sich so, daß der Fürst auch mit der Familie des Generals bekannt wurde. Adelaida Iwanowna, die mittlere der drei Schwestern, machte auf ihn einen recht starken Eindruck. Zu Beginn des Frühlings hielt er um ihre Hand an. Der Freier gefiel sowohl ihr als auch ihrer Mutter recht gut. Der General war sehr erfreut. Selbstverständlich wurde die Reise verschoben. Die Hochzeit wurde für den Frühling in Aussicht genommen.
    Die Reise hätte übrigens auch noch in der Mitte oder gegen Ende des Sommers stattfinden können, wenn auch nur in Form eines ein- oder zweimonatigen Ausfluges der Mutter und der beiden ihr verbliebenen Töchter, um den Schmerz über Adelaidas Ausscheiden aus der Familie zu besänftigen. Aber es trat wieder ein neues Ereignis ein: schon zu Ende des Frühjahrs (Adelaidas Hochzeit hatte sich etwas verzögert und war nun auf die Mitte des Sommers angesetzt worden) führte Fürst Schtsch. bei der Jepantschinschen Familie einen entfernten Verwandten von sich ein, mit dem er aber sehr gut bekannt war. Es war dies ein gewisser Jewgenij Pawlowitsch R., ein noch sehr junger Mann, ungefähr achtundzwanzig Jahre alt, Flügeladjutant, bildschön, von »vortrefflicher Herkunft«, geistreich, elegant, »ein Anhänger der neuen Ideen«, »hochgebildet« und unerhört reich. Hinsichtlich dieses letzten Punktes war der General immer sehr vorsichtig. Er zog Erkundigungen ein und äußerte dann: »Die Sache scheint sich tatsächlich so zu verhalten, indes ist doch noch weitere Bestätigung erforderlich.« Dieser junge Flügeladjutant, dem man eine »große Zukunft« prophezeite, erhielt noch eine besondere Empfehlung durch die Art, wie sich die alte Fürstin Bjelokonskaja in Moskau in ihren Briefen über ihn aussprach. Nur in einem Punkte war sein Ruf etwas bedenklich: er sollte mehrere Liebesverhältnisse gehabt und, wie behauptet wurde, mehrere »Siege« über unglückliche Herzen davongetragen haben. Nachdem er Aglaja gesehen hatte, wurde er in der Familie Jepantschin ein überaus häufiger Gast. Er hatte zwar noch nichts deutlich ausgesprochen, ja nicht einmal irgendwelche Andeutungen gemacht, aber die Eltern waren doch der Ansicht, man müsse für diesen Sommer den Plan einer Auslandsreise aufgeben. Aglaja selbst war vielleicht anderer Meinung.
    Dies begab sich, kurz bevor unser Held zum zweitenmal auf dem Schauplatz unserer Erzählung erschien. Zu dieser Zeit war, nach dem äußeren Scheine zu urteilen, der arme Fürst Myschkin in Petersburg bereits vollständig in Vergessenheit geraten. Wäre er jetzt auf einmal unter den Menschen, die ihn kannten, erschienen, so würden sie so überrascht gewesen sein, als ob er vom Himmel gefallen wäre. Aber wir wollen inzwischen von noch einem Ereignis Mitteilung machen und damit unsere Einleitung beschließen.
    Kolja Iwolgin setzte nach der Abreise des Fürsten anfangs sein früheres Leben fort, das heißt er ging ins Gymnasium, besuchte seinen Freund Ippolit, beaufsichtigte den General und half seiner Schwester Warja in der Wirtschaft, indem er Laufburschendienste verrichtete. Aber die Untermieter verschwanden schnell: Ferdyschtschenko zog drei Tage nach dem Vorfall in Nastasja Filippownas Wohnung aus und war sehr bald verschollen, so daß man von

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