Der Idiot
Tage nach dem Umzug der Familie Jepantschin traf Fürst Lew Nikolajewitsch Myschkin mit dem Morgenzug aus Moskau ein. Es war niemand zu seinem Empfang auf dem Bahnhof erschienen, aber beim Aussteigen aus dem Waggon kam es ihm auf einmal so vor, als ob aus der Menge, die die mit dem Zug Angekommenen umdrängte, der seltsame, brennende Blick zweier Augen auf ihn gerichtet sei. Als er jedoch aufmerksamer hinschaute, konnte er nichts mehr wahrnehmen. Gewiß war es ihm nur so vorgekommen, aber es blieb doch bei ihm eine unangenehme Empfindung zurück. Zudem war der Fürst auch ohnedies traurig und nachdenklich und schien aus irgendeinem Grund in Sorge zu sein.
Ein Droschkenkutscher fuhr ihn nach einem Gasthof in der Litejnaja-Straße. Das Gasthaus war sehr ärmlich. Der Fürst erhielt zwei kleine, dunkle, schlecht möblierte Zimmer, wusch sich und kleidete sich um; dann ging er, ohne etwas zu genießen, eilig aus, wie wenn er Zeit zu verlieren oder jemanden nicht zu Hause anzutreffen fürchtete.
Wenn einer von den Leuten, die ihn vor einem halben Jahre bei seinem ersten Aufenthalt in Petersburg kennengelernt hatten, ihn jetzt gesehen hätte, so würde er vielleicht gefunden haben, daß sein Äußeres sich sehr vorteilhaft verändert habe. Und doch war das kaum der Fall. Nur die Kleidung war völlig anders geworden: er trug jetzt einen in Moskau von einem guten Schneider gearbeiteten Anzug, aber dieser Anzug hatte einen Fehler: er war gar zu sehr nach der Mode angefertigt (wie das gewissenhafte, aber nicht sehr talentvolle Schneider immer machen) und noch dazu für einen Menschen, der darauf nicht den geringsten Wert legte, so daß ein besonders Lachlustiger bei einem aufmerksamen Blick auf den Fürsten vielleicht Anlaß gefunden hätte zu lächeln. Aber was kommt den Leuten nicht alles lächerlich vor!
Der Fürst nahm eine Droschke und fuhr nach den Peski. In einer der Roshdestwenskij-Straßen fand er bald ein kleines Holzhäuschen. Zu seiner Verwunderung präsentierte sich dieses Häuschen äußerlich recht hübsch: es war sauber, gut in Ordnung gehalten und hatte einen Vorgarten, in dem Blumen wuchsen. Die Fenster nach der Straße zu waren geöffnet, und aus ihnen hörte man ein lautes, unaufhörliches Sprechen, ja fast ein Schreien, wie »Durch-durch-durchlauchtigster Fürst!«
Aber als könne er seine Fassung immer noch nicht wiedergewinnen, drehte er sich auf einmal um und stürzte ohne jede Veranlassung zunächst auf das Mädchen in Trauer zu, das das Kind auf dem Arme hielt, so daß diese vor Überraschung und Schreck zurückwankte; dann aber ließ er sie und stürmte auf das dreizehnjährige Mädchen los, das in der nach dem Nebenzimmer führenden Tür auf der Schwelle stand und auf dessen Gesicht als Überrest des kurz vorhergehenden Lachens noch ein Lächeln lag. Sie hielt dem Anschreien nicht stand, sondern flüchtete sogleich in die Küche; Lebedew stampfte hinter ihr sogar mit den Füßen auf den Boden, um sie noch mehr zu erschrecken; aber als er dem Blick des Fürsten begegnete, der ihn verlegen ansah, sagte er zur Erklärung:
»Nur... nur aus Ehrerbietung, hehehe!«
»Aber Sie machen sich unnötige Mühe...«, begann der Fürst.
»Sofort, sofort, sofort... schnell wie der Wind!«
Damit lief Lebedew rasch aus dem Zimmer. Erstaunt blickte der Fürst das junge Mädchen, den Knaben und den auf dem Sofa liegenden jungen Mann an, die alle drei lachten. Auch der Fürst fing an zu lachen.
»Er ist gegangen, sich den Frack anzuziehen«, sagte der Knabe.
»Es tut mir außerordentlich leid...«, begann der Fürst. »Ich dachte schon... Sagen Sie, ist er vielleicht...«
»Sie meinen betrunken?« rief eine Stimme vom Sofa her. »Nicht die Spur! Er hat vielleicht drei bis vier Gläser getrunken, na, oder auch fünf, aber was will das bedeuten? Das ist ja ganz normal.«
Der Fürst wollte sich der vom Sofa herkommenden Stimme zuwenden; aber nun begann das junge Mädchen zu sprechen und sagte mit dem offenherzigsten Ausdruck auf ihrem hübschen Gesicht:
»Vormittags trinkt er nie viel; wenn Sie in einer geschäftlichen Angelegenheit zu ihm hergekommen sind, dann reden Sie jetzt mit ihm, es ist gerade die rechte Zeit. Wenn er abends nach Haus kommt, dann ist er allerdings manchmal betrunken; aber jetzt weint er meistens bis in die Nacht »Ja, ich habe davon gelesen«, erwiderte der Fürst einigermaßen verwundert.
»Nun, das ist hier der wahre Mörder der Familie Shemarin, er ist es, er!«
»Aber was reden
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