Der Ikarus-Plan - Ludlum, R: Ikarus-Plan
Blut.
Nichts. Null. Wahnsinn.
Und dann ein Erfolg. Ein uralter Muezzin verhalf ihnen dazu, ein heiliger Mann, dessen Sprache und Gedächtnis ebenso klapprig waren wie sein ausgemergelter Körper.
»Sucht nicht dort, wo man es logischerweise von euch erwartet. Sucht woanders.«
»Wo?«
»Wo Groll und Feindseligkeit nicht aus Armut und Verlassenheit entstehen. Bei jenen, denen Allah in dieser Welt – wenn auch vielleicht in der nächsten nicht mehr – seine Gunst gewährt.«
»Drückt Euch bitte klarer aus, hochverehrter Muezzin.«
»Allah wünscht keine solche Klarheit-sein Wille wird geschehen. Vielleicht ergreift er nicht Partei – so sei es.«
»Aber Ihr müßt doch einen Grund dafür haben, zu sagen, was Ihr sagt.«
»Da Allah mir diesen Grund gab – geschehe sein Wille.«
»Was soll das heißen?«
»Geflüster, in den Winkeln und Ecken der Moschee belauscht. Geflüster, das diese alten Ohren hören sollten. Doch ich höre so schlecht, daß ich nichts gehört oder verstanden hätte, wäre es nicht Allahs Wille gewesen, mir die Ohren zu öffnen.«
»Und?«
»Die flüsternden Stimmen sprechen von jenen, die aus dem Blutbad ihren Nutzen ziehen werden.«
»Wer ist das?«
»Keine Namen wurden genannt, kein Mann von Bedeutung erwähnt.«
»Irgendeine Gruppe oder Organisation? Bitte! Eine Sekte, ein Land, ein Volk? Die Schiiten, die Saudis... Iraker, Iraner... die Sowjets?«
»Nein. Man spricht weder von Gläubigen noch von Ungläubigen. Man sagt immer nur ›sie‹.«
»Sie?«
»Das wird in den dunklen Ecken und Winkeln der Moscheen geflüstert, das sollte ich nach Allahs Willen hören – möge sein Wille geschehen. Nur das Wort ›sie‹.«
»Könntet Ihr von denen, die Ihr gehört habt, den einen oder anderen identifizieren?«
»Ich bin fast blind, und dort, wo diese wenigen unter den Gläubigen miteinander reden, ist es immer ziemlich dunkel. Ich kann niemand identifizieren. Ich weiß nur, daß ich weitergeben muß, was ich höre, denn das ist Allahs Wille.«
»Warum, Muezzin? Warum ist es Allahs Wille?«
»Das Blutvergießen muß ein Ende haben. Der Koran sagt, wenn leidenschaftlich aufgeputschte Jugend Blut vergießt, weil sie sich im Recht glaubt, muß man die Ursachen dieser Leidenschaft untersuchen, denn Jugend...«
»Schon gut, schon gut. Zwei von unseren Leuten werden Euch in die Moschee begleiten. Gebt ihnen ein Zeichen, wenn Ihr etwas hört.«
»In einem Monat, ya schaikh. Ich bin unterwegs nach Mekka, unternehme meinen letzten Hadsch. Ihr seid nur ein Teil dieser Reise. Es ist der Wille...«
»Gottverdammt noch mal!«
»Es ist Ihr Gott, ya schaikh. Nicht der meine. Nicht der unsere.«
2
Washington, D. C.
Mittwoch, 11. August, 11 Uhr 50
Die Mittagssonne knallte auf das Pflaster der Hauptstadt. Stikkige Hochsommerhitze lastete auf den Straßen. Wer zu Fuß unterwegs sein mußte, litt unter dieser Hitze. Aktentaschen und -koffer hingen wie tote Gewichte herunter, während ihre Besitzer – die Männer mit offenem Hemdkragen und gelockerter Krawatte – schlaff an den Kreuzungen standen und auf grünes Licht warteten. Obwohl Hunderte von Männern und Frauen – hauptsächlich Regierungsbeamte und daher auch Diener des Volkes – mit dringenden Angelegenheiten beschäftigt sein
mochten, konnten sie sich auf der Straße nicht zur Eile aufraffen. Die feuchtheiße Hülle, die sich über die Stadt gesenkt hatte, lähmte jeden, der sich aus seiner vollklimatisierten Umgebung ins Freie wagte.
Ecke 23 d Street und Virginia Avenue hatte sich ein Verkehrsunfall ereignet. Es war kein Unfall mit schwerem Sach- oder mit Personenschaden, doch die Aufregung war groß. Ein Taxi war mit einer Regierungslimousine zusammengestoßen, die aus der Tiefgarage des Außenministeriums gekommen war. Die beiden Fahrer standen schwitzend neben ihren Fahrzeugen, beschimpften und beschuldigten sich gegenseitig, während sie auf die Polizei warteten, denn wie üblich glaubten beide im Recht zu sein. Innerhalb von Sekunden bildete sich ein Verkehrsstau, es wurde zornig gehupt, und aus wegen der Hitze nur widerwillig geöffneten Fenstern kamen wütende Proteste.
Der Fahrgast stieg ungeduldig aus dem Fond des Taxis. Er war groß und schlank, Anfang Vierzig, und wirkte fehl am Platz in dieser Umgebung, in der man nur sommerliche Anzüge, hübsche Baumwollkleider und Diplomatenkoffer sah. Er trug eine zerknautschte Khakihose, Stiefel und statt eines Hemdes eine schmutzige Safarijacke. Er sah aus wie ein
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