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Der Implex

Der Implex

Titel: Der Implex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dietmar Barbara; Dath Kirchner
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weichen. Jahrhunderte, bevor Marx verlangte, man solle die Welt nicht länger bloß verschieden interpretieren, sondern verändern, machte die Aufklärung mit der Überführung von Erklärungs- und Voraussagekraft weit ausgreifender Theorien über Natur und Gesellschaft in politische Gestaltung ernst.
V.
Kann die Aufklärung wahr sein?
    Wie schon bei Schönheit, Größe und Güte der griechischen Antike machen die Maßstäbe, die man gewinnt, wenn man die bürgerlichen Stärken verallgemeinert, indem man von ihrer historischen Gewaltgrundlage (Stichwort »ursprüngliche Akkumulation«: Die Lohnarbeiter mußten erst gemacht werden, die Kleinbesitzer enteignet, dabei gingen die Bürger durchaus nicht immer zartfühlend vor) abstrahiert, den besonderen Weg, auf dem sie geschichtswirksam wurden, fragwürdig. Am gefährlichsten fürs Behagen und die Selbstgewißheit des bürgerlich-liberalen Bewußtseins ist dabei der Wahrheitsbegriff der Aufklärung (seine Baconschen, spinozistischen, Rousseauschen Aspekte haben wir kennengelernt, das Buch wird sie um weitere, präzisierende ergänzen): Während vor und jenseits der aufgeklärten Ideenwelt das Wahre Offenbarungs-, Reflexions- oder Traditionscharakter hat, sich also an keiner Praxis, keinem procedere von Probe und Gegenprobe bewähren muß, denkt die Aufklärung erstens empirisch-protopragmatistisch (wie später bei Dewey und Rorty ist wahr das, was funktioniert) und zweitens, in dialektischer Spannung hierzu, rationalistisch-probabilistisch (für die Aufklärung kann ein Gedanke durchaus erfolgreich sein, ohne wahr zu sein: Das Erbe des Aristotelismus, die Unterscheidung Wesen/Schein, hat man im Entstehungsprozeß der neuzeitlichen Weltsicht in ideologiekritischer Absicht gegen alle religiösen, philosophischen und sonstigen Ideenbauten gekehrt, die nicht nach Bacons Regeln errichtet waren). Nur weil die Aufklärung somit dialektisch denkt: »Was der Praxis hilft, mag dennoch falsch sein, was ihr aber schadet, kann niemals wahr sein«, besitzt der Bürger einen Begriff vom Fortschritt: Unsere heutige Praxis muß weiter optimiert werden, damit wir diejenigen verkehrten Ansichten loswerden, die wir noch nicht entlarven konnten, weil sie in den Grenzen dessen, was wir jetzt tun, richtig zu sein scheinen. Das Bessere ist der Feind des Guten, und das »Ding an sich«, dessen zutreffender Auffassung sich die Forschung incrementally und approximativ nähert, ist die notwendige Leerstelle der Verbesserbarkeit der Welterschließungstechniken, die wir besitzen; das Eschaton der Nichtoffenbarung.
     
    Wer in diesem Wahrheitsbegriff erzogen wurde, kann dank seiner sogar erkennen, daß die zentralen Begründungszusammenhänge, die für das bürgerliche Zeitalter das Sein und das Sollen, Erkenntnis und Interesse zusammenbringen möchten, nach denselben Kriterien im Grunde fadenscheinig sind, die seine transzendentale Axiomatik ausmachen.
     
    Die ersten Wahrheiten des neuen Systems der Wahrheitengewinnung sind gar keine, das mittels der Insistenz auf der Verbindung von Beobachtung und zwingenden Folgerungen eskamotierte Normative, das hinter Vernunftbestimmungen und Datenerhebung zum Verschwinden gebracht werden soll wie der Zauberer von Oz hinter seinem Wandschirm, liegt nach der Selbstaufklärung der Aufklärung, Unterwerfung des Gedachten unter die Kritik, so unbegründbar zutage, wie es immer war, vergleichbar dem kategorischen Imperativ, der sich aus nichts folgern läßt, ohne den Humeschen Einwand zu verletzen, und aus dem weder auf induktivem noch auf deduktivem Weg etwas folgt, was nicht einfach Dezision ist (ich will so handeln, daß die Maxime meines Willens jederzeit zur Grundlage einer allgemeinen Gesetzgebung gemacht werden kann, oder ich will dies nicht). Der von der Aufklärung erzeugte Schein, ihre Verknüpfungen ethischer Postulate mit wahren Aussagen seien ihrerseits wahre Aussagen, zerriß nicht, weil die christlich-feudale Wissenskultur samt ihren platonischen und neuplatonischen Beimengungen aus der Antike den öffentlichen Gedankenaustausch mehr als anderthalb Jahrtausende lang daran gewöhnt hatte, Ontisches, Deontisches und Logisches in systematischen Kategorienfehlertransaktionen ineinander kollabieren zu lassen – dergleichen Kategorienfehler sind das tägliche rhetorische Brot gerade anspruchsvoller Erlösungsreligionen, im Gegensatz etwa zu animistischen oder stärker am Ritual als am Dogma interessierten.
    Die logischen und eristischen Sitten und

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