Der Implex
das Frühe, in jenem gleichwohl enthalten sein kann und daß die Erkenntnis-, Wissens-, Empfindens- (und also Ästhetik-)Geschichte nicht anders kann, als diesem realgeschichtlichen Leitpuls zu folgen – die »richtige logische Abfolge« der Erkenntnisse ist ein von ihrem historischen Gewinnungsgang nezessiertes trompe l’œil. »Rein logisch« könnte man ja auch vermuten, daß man auf die von Darwin entdeckten Makromechanismen der Biogeschichte erst kommt, wenn der mikrobiologische Erbgang erforscht ist, aber für die stammesgeschichtliche Betrachtung reicht eben etwas Taxonomie und Paläontologie samt Züchtungserfahrung. Lamarck ist in Darwin begraben, Crick und Watson sind in ihm gezeugt; und daß Mathematiker und Physiker in den letzten Jahrzehnten Dinge sagen konnten wie die um Edward Witten gescharten Protagonistinnen und Protagonisten der Superstring-Theorie, es handle sich bei ihrer Theorie um eine Lehre, die man eigentlich noch gar nicht ausarbeiten könne, weil für diese Physik des späten zwanzigsten Jahrhunderts im Grunde die Mathematik des einundzwanzigsten Jahrhunderts vonnöten sei, ist – unabhängig davon, ob diese theoretischen Investitionen jemals amortisiert werden und die String- oder die aus ihr entwickelten M-Theorien halten, was sie Witten und Company versprechen – nur denkmöglich geworden, weil die Wissensgeschichte inzwischen, ganz nach Luxemburgs Kriterium, eben auch mehr Produktionsmittel – Gleichungen und andere Maschinen, die neues Wissen herstellen helfen und denkbar machen, daß man Dinge tun kann, die bis jetzt niemand tun konnte – produziert als bloße Konsumtionsprodukte – Gleichungen und andere Maschinen, die nur etwas zu tun erleichtern, was man eh schon tut. Als die Geometrie gekrümmter Räume im neunzehnten Jahrhundert durch Riemann und andere entwickelt wurde, war ihre Anwendung auf den Gegenstandsbereich der Allgemeinen Relativitätstheorie noch unvorstellbar, der umgekehrte Fall – eine physikalische oder auch biologische Intuition wird durch Formalisierung erst klar, etwa wie bei Mendels Gesetzen und ihrem Aufgehobensein im mikrogenetischen Erbgang – tritt ebenfalls immer wieder ein; die russischen Puppen der Erfahrungsgeschichte finden einander in Figurationen von Escher, der Implex ist mal das Formale (die neue Mathematik, die in neuen physikalischen Begrifflichkeiten steckt), mal das Narrative (die neue Geschichte der Welt, die in einer Gleichung wohnt), das »Innen« aber entfaltet sich, wie Merleau-Ponty den Valéryschen Implex-Begriff einmal ausgedeutet hat, »als System von Vermöglichkeiten« – das ungewohnte deutsche Wort, umsichtig gesetzt von Alexandre Métraux in seiner Übertragung der Untersuchungen über den dichterischen Gebrauch der Sprache soll ans »Vermögen« im Sinne des Besitzes wie des Etwas-tun-Könnens erinnern, damit man den Implex eben nicht für etwas Geistiges, etwas Abstraktes, etwas ohne Geschichte hält; betont Merleau-Ponty in diesem Text doch ganz zu Recht, daß Valéry den homme de l’esprit, dessen Welterschließung sich der Implex erschließt,
»kein reines Bewußtsein ist, das um so reiner ist, als es sich weigert, was auch immer zu sein. Denn unsere Einsichten erwachsen auf der Grundlage der Begegnung von Welt und von anderen Menschen; Schritt um Schritt konstruieren wir ein System von Vermöglichkeiten – Valéry nennt es ›Implex‹ oder ›Worttier‹ –, das als Misch- oder Zwitterwesen diesseits unserer Willensaktivität« (Primärprozeß – Unmarked Space – Unbewußtes – Traumlogik [K/D]) »den Bezug zwischen dem, was wir getan haben, und dem, was wir beabsichtigt haben, sichert« 129 ,
und dieser Bezug ist eben der Schritt von der Konsumption zur Produktion wie das Maß des Fortschritts (Tun wir, was wir beabsichtigen? Kommen wir weiter?), und zwar in beide Zeitrichtungen lesbar, so wie die Gleichungen, die uns Naturvorgänge erschließen, in beide Richtungen lesbar sind und die Naturgesetze in diesem (und nur in diesem) keine Zeit kennen, das heißt gedacht werden können müssen, ohne ihnen einen Zeitpfeil einzuziehen (also multidirektional, was sogar für die absolut großräumigen Kosmologien gilt, also auch für die Allgemeine Relativitätstheorie, die, wie Gödel gezeigt hat, auch Lösungen ihrer Gleichungen zuläßt, in denen das ganze Universum »zeitlos« ist, zyklisch wie einst in den Mythen und in Valérys näherer Bestimmung des beharrlichen Systems). Der beobachtbare Zusammenhang ist
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