Der Implex
mit der Zerschlagung von Illusionen darüber, es gäbe vielleicht kunstfähige Gegenstände, für die nur eine einzige Kunsttechnik zuständig sein könnte; jedes Handwerk fühlt sich vernichtet, wenn andere Hände in seine greifen wollen, wie sich jede Religion verfolgt fühlt, sobald sie nicht mehr Staatsreligion ist, sondern weltanschaulicher Verein unter anderen), sowenig ist die Magie mit der Instituierung der kapitalistischen ratio »verschwunden«. Sie hat sich vielmehr vervielfacht und vervielfältigt (das ist nicht dasselbe), als Massenware und stilistisch-technische Proliferation unwirklicher Künste. Oper, Graphic Novel, DVD, Paperback, Download, Bildband, Computergame, Live-Action-Rollenspiel – mehr und nach Gattung, Genre, Form wie Medium breiter gestreute Tagträumangebote für immersiven Eskapismus hat es nie gegeben. Die Versuchung liegt nah, die wechselseitig einander explizierenden Implikaturen zwischen diesen Angeboten als Abhängigkeits- und Folgeverhältnisse teleologisch zu lesen: Ohne lebensweltlichen Positivismus kein Inner-Space-Symbolismus, ohne Konstruktivismus des öffentlichen Raums kein Gebrauchssurrealismus der Werbung und so weiter. Die weltadäquate Ineinanderschachtelung »A ist aus B und C, B aber aus A und C und C wiederum aus A und B zusammengesetzt«, die außerhalb der nur von zwecksetzender Verstandesleistung herstellbaren Teleologie liegt und darum ebensosehr an die das Phantastische tragenden Entstellungstechniken der Träume erinnert wie an Spencer Browns »unmarked space« der ausschlußlosen Ununterschiedlichkeit und den von Freud so genannten »Primärprozeß« des Psychischen, in dem die Kategorien und Anschauungsweisen noch nicht nach den Maßverhältnissen des Realitätsprinzips geschieden sind, dient uns daher als Gegenbild zur verkehrten Auffassung unidirektionaler Abhängigkeit oder gar eines memdarwinistischen Verdrängungswettkampfs zwischen mythischem und vernünftigem Erleben und Denken. Diese primärprozessuale Ineinanderschachtelung, die als Larvenstadium von »Bedeutung« erlebt wird, die ins Bedeutsame nur übergeht, wo die ausgeschlossenen Unterscheidungen wieder ins zu Untersuchende hineingenommen werden und sich dort, wie wir das in diesem Buch mehrfach nannten, »selbstähnlich reproduzieren« – Luhmann hat für denselben Sachverhalt beim Logiker George Spencer Brown den Ausdruck eines re-entry der Form in die Form entlehnt –, findet sich, sobald diese re-entry-Möglichkeit gegeben ist, bald nicht nur zwischen den beiden Polen Fantastika (so wollen wir, dem Kritiker John Clute folgend, in diesem Kapitel, und in diesem Buch überhaupt, die unwirklichen Künste nennen – nach geläufiger Untergattungstaxonomie also supernatural Horror, Science-fiction und Fantasy, sowie vieles, das »dazwischen« liegt) und Rationalität, sondern innerhalb der beiden propria selbst – gerade auch auf der rationalen Seite, sogar in der Physik: Wie immer letztlich die Supertheorie beschaffen sein mag, der es gelingen könnte, die Inkompatibilitäten zwischen der Geometrodynamik einerseits und der Quantenmechanik andererseits auszuräumen – etwa indem sich beide als Sonderfälle einer unter allgemeineren Gesetzen stehenden Naturordnung erweisen, oder indem eine von beiden sich als letztlich doch falsch herausstellt, oder indem eine andere, bis jetzt nicht ausgearbeitete logische Möglichkeit greift –, die Zuständigkeit jeder der einstweilen untereinander unversöhnlichen Theorien wird unmittelbar abgelesen an skalierbaren Mikro- bis Makro-Konstellationen, und Vermittlungsinstanz ist das zwecksetzende Menschenhirn, das sich zwischen Makro- und Mikrokosmos selbst als denjenigen Mesokosmos setzt, der erklärt, das heißt vermittelt, herauslöst und einbettet, unterscheidet und vergleicht (und gelegentlich dazu neigt, das wiederum zu ontologisieren, so daß der Mikro- wie der Makrokosmos plötzlich Teilmengen des Mesokosmos werden). Bei alledem stößt man immer wieder auf Paradoxa der Form »Das Späte steckt im Frühen, wie das Frühe bewahrt bleibt im Späten«.
Kontraintuitiv – man erlebt hier gleichsam das Eingebettetsein des Großen ins Kleine, die Raumintuitionsverletzung des »Das ist innen größer als außen« – haftet diesen Paradoxa gleichwohl nichts Übernatürliches mehr an, sobald man verstanden hat, daß die Kausalität, der »Mörtel des Universums« (Donald Davidson) nicht verletzt wird davon, daß das Spätere, als Ausgewachsenes größer als
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