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Der indigoblaue Schleier

Der indigoblaue Schleier

Titel: Der indigoblaue Schleier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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dich?« Nayanas Herz blutete ebenso sehr wie das von Amba. Sie ertrug es nicht, ihren Liebling leiden zu sehen, und wenn es irgendetwas gäbe, was sie tun könnte, würde sie es ohne Zögern tun. Aber in solchen Fällen war der Mensch machtlos – da half nur die Zeit. Oder Beschäftigung. »Du musst etwas wegen Makarand und Anuprabha unternehmen. Verheirate die beiden endlich miteinander. Und du musst dem alten Dakshesh einen Gehilfen zur Seite stellen, er schafft es kaum noch allein. Außerdem solltest du ein Auge auf Jyoti haben, ich glaube, sie bändelt mit einem jungen Mann aus dem Dorf an, dem sie womöglich mehr erzählt, als für uns alle gut ist.«
    Amba staunte. Da kam plötzlich wieder die alte Nayana zum Vorschein, eine lebenskluge und tatkräftige Frau. Allzu lange hatte die
ayah
sich hinter Aberglauben und Alter versteckt. »Was ist los mit dir, Nayana? Hast du bei deinem letzten Tempelbesuch um mehr Weitsicht und Gedankenklarheit gebeten? Es sieht so aus, als sei dir der Wunsch erfüllt worden.«
    »Amba, so spricht man nicht mit alten Frauen!«
    Amba lachte. »Nein, verzeih mir. Ich bin nur froh darüber, dass du wieder Vernunft angenommen hast. Diese ewigen
pujas
…«
    Nayana sah die Jüngere streng an, erwiderte jedoch nichts. Insgeheim war sie erleichtert, dass Ambas Tränen versiegt waren, auch wenn es der unangemessene Spott über ihre Andachten war, der dies bewerkstelligt hatte.
    Plötzlich horchten beide Frauen auf. Von draußen hatten sie ein ungewohnt lautes Knacken gehört. Der Kokoszapfer konnte es nicht sein, er arbeitete in dieser Jahreszeit nicht. Ein Ast würde in dem zurzeit schwachen Wind auch nicht abbrechen. War es einer von ihren eigenen Leuten gewesen? Der kleine Vikram wurde immer frecher und unternehmungslustiger, vielleicht trieb er sich im Garten herum.
    Amba trat ans Fenster und schaute hinaus, sah jedoch in der Dunkelheit wenig. Doch, da, ein Schemen bewegte sich auf das Haus zu! Sie zog ihren Schleier übers Gesicht und eilte zur Haustür. »Halt! Wer seid Ihr? Was wollt Ihr hier?«
    »Aber, aber. Es ist nur dein Gemahl, den du sicher sehnsüchtig erwartet hast.«
    Amba musste sich ein frustriertes Aufstöhnen verbieten. Manohar!
    »Du Taugenichts. Sag schnell, was du willst, und dann verschwinde.«
    »Willst du mich denn nicht hineinbitten? Ich habe einen langen Weg hinter mir und …«
    »Nein. Wie viel willst du diesmal?«
    »Ich will meine Rechte als dein Gemahl wahrnehmen. Du hast mich sehr lange hingehalten, doch nun ist es …«
    »… an der Zeit, dass du lernst, wann du zu weit gegangen bist«, ergänzte Nayana, die hinter Amba an der Tür erschienen war und einen Säbel in den knochigen Händen hielt.
    Manohar lachte hämisch. Nun, da er im Lichtkegel stand, der aus der Tür nach draußen strahlte, erkannte Amba, dass es nicht gut um ihn bestellt war. Er wirkte ungepflegt und hatte schwere Tränensäcke unter den Augen. »Die alte Krähe bedroht mich, meine liebe Amba. Du wirst sie hinauswerfen müssen.«
    »Wird der Kerl Euch gefährlich, Ambadevi?«, hörten sie auf einmal Makarands Stimme. »Soll ich ihn gleich hier erschlagen, wie man es mit gemeinen Einbrechern zu tun pflegt, oder soll ich ihn der Inquisition ausliefern?« Der junge Bursche blieb unsichtbar, während er sprach, ein schlauer Schachzug, wie Amba fand. Makarands Äußeres war nicht sehr furchteinflößend, denn er war von eher schmächtiger Statur und hatte ein freundliches Jungengesicht. Aber seine Stimme war tief, sie hätte auch zu einem Mann, der doppelt so alt und doppelt so kräftig war, gepasst.
    »Wenn er nicht auf der Stelle verschwindet, und zwar für immer, kannst du ihn fesseln und in die Stadt bringen«, sagte Amba ins Dunkel hinein. An Manohar gewandt, fügte sie hinzu: »Wenn du dich noch einmal hier blicken lässt, wirst du getötet.«
    Manohar war nicht dumm. Er wusste, dass er im Augenblick keine Chance hatte, sich ohne Gesichtsverlust aus der Affäre zu ziehen. Er drehte sich auf dem Absatz um und verschwand, ohne eine weitere Silbe von sich zu geben.
    Ambas Herz klopfte heftig. Der Schreck war ihr tief in die Glieder gefahren. »Danke, Makarand«, sagte sie leise. »Und danke, Nayana.«
    Fürs Erste war die Gefahr gebannt. Aber was, wenn der Kerl wiederkam, in Begleitung oder bewaffnet? Was, wenn er selber die Behörden von ihren Machenschaften unterrichten würde? Nein, das würde er nicht können, ohne sich selber der Mittäterschaft beschuldigen zu müssen, und dafür

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