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Der indigoblaue Schleier

Der indigoblaue Schleier

Titel: Der indigoblaue Schleier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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kommen lassen. Dass die ›gefährlichsten Ketzer‹ – die, unter uns gesprochen, zugleich die reichsten Bürger der Stadt sind – mir entkommen konnten, lag an dem Ausbruch der Seuche. Jeder, der Geld hat, ist fortgegangen. Was ich im Übrigen ebenfalls tun werde. Keinen Tag länger halte ich es in dieser Leichengrube aus. Und damit werden dann wohl auch Eure ›privaten Belustigungen‹, wie Ihr es so trefflich zu formulieren pflegt, ein Ende haben. Ach, dabei hatte ich gerade ein so passendes Exemplar herausgeklaubt, einen bildhübschen Knaben von elf Jahren, seit kurzem Waise und …«
    »Still, Hundsfott! Die Jungen erhalten bei mir Unterricht in Latein, wir lesen die Bibel und lernen den Katechismus. Eure Andeutungen zeugen nur von Eurem durch und durch verdorbenen Charakter. Ich hätte mich nie mit solchem Abschaum wie Euch einlassen dürfen. Geht jetzt. Und tretet mir nie wieder unter die Augen, bevor ich mich vergesse!«
    »Ihr schuldet mir noch ein hübsches Sümmchen.«
    »Gar nichts schulde ich Euch. Für Eure kümmerlichen Ergebnisse seid Ihr bereits mehr als ausreichend entschädigt worden, schließlich habt Ihr all Eure Opfer bestohlen. Aber den Auftrag, den ich Euch gegeben hatte, habt Ihr nicht erfüllt, und damit entfällt auch Euer Honorar. Jeder kann auf der Straße Angst und Schrecken verbreiten und irgendwelche Passanten verhaften. So lautet unsere Mission jedoch nicht. Wir wollen aufräumen mit dem Unglauben, mit heidnischen Praktiken, mit abergläubischen Ritualen und mit unchristlichen Sitten.«
    »Ihr seid ein Heuchler und Betrüger.«
    »Wachen!«, rief der Mönch aufgebracht.
    »Ich finde allein hinaus.« Carlos Alberto verließ den Besprechungsraum mit hochrotem Kopf und fiel, als die Wachen ihm entgegeneilten, in einen Laufschritt. Er drohte an seinem Zorn zu ersticken, schluckte ihn aber herunter, bis er vor der Tür war. Ein Mensch krümmte sich in Todesqualen auf dem Gehweg. Carlos Alberto versetzte ihm einen Tritt in die Rippen und beförderte ihn in die Gosse, wo er seiner Meinung nach hingehörte. Nichts wie weg aus dieser verpesteten Stadt, fort von diesen verlogenen Mönchen und Priestern! Eine einzige Sache musste er noch erledigen, dann wollte er gen Küste aufbrechen, wo die Luft rein und die Leute gesund waren.
    Er begegnete unterwegs Maria Nunes, die nun anders hieß. Er konnte sich an den Namen ihres Mannes jedoch nicht erinnern. Wozu auch, er war ein unbedeutender Versager. Die schüchterne Maria indes, wer hätte das gedacht?, entwickelte sagenhafte Kräfte bei der Arbeit mit Waisen und Kranken. Sie hätte man zuallererst verhaften müssen. Es war grobe Fahrlässigkeit, wenn nicht gar eine Straftat, Gott ins Handwerk zu pfuschen und all die elenden Gestalten auch noch zu pflegen. Man sollte die Natur das tun lassen, was der Stadt am besten bekommen würde: die Schwachen sterben lassen. Er nickte Maria mürrisch zu und erhielt einen ebenso abweisenden Gruß zurück.
    Als er vor der Herberge ankam, in der die beiden Inder hausten, zupfte Carlos Alberto seinen Spitzenkragen zurecht. Dann klopfte er energisch und verlangte, als ein verängstigter Diener ihm öffnete, unverzüglich die vornehmen indischen Herrschaften zu sehen. Dass er ihre Mittagsruhe störe, so blaffte er den Diener an, sei ihm vollkommen egal, und wenn die beiden nicht sofort erschienen, würde er alle Bediensteten und Gäste der Herberge ins Verlies werfen lassen.
    Chandra und Pradeep reagierten sehr ungehalten auf die Störung. Sie baten den Diener, sich als Übersetzer zu betätigen, da er anscheinend neben ein paar Brocken ihrer Sprache, Marathi, auch das Portugiesische leidlich zu beherrschen schien.
    »Habt Ihr die Frau?«, fragte Chandra.
    »Nein. Ich kann sie nur aufstöbern, wenn ich die entsprechenden Mittel zur Verfügung habe«, erwiderte Carlos Alberto.
    »Ihr wollt mehr Geld?«
    »Wie schlau Ihr seid … Ja, ich brauche mehr Geld, denn die gesuchte Person scheint gerissener zu sein, als Ihr es mich habt glauben lassen.«
    Pradeep flüsterte seinem Bruder in einem Dialekt etwas zu, das der übersetzende Diener nicht verstehen konnte: »Wirf den Kerl hinaus. Er taugt nichts. Er will uns bestehlen, und wenn er erst unser Geld hat, lässt er uns in den Kerker werfen. Den Diamanten holt er dann allein.«
    Chandra, über die Weitsicht seines sonst so unbesonnenen Bruders erstaunt, rollte bedächtig mit dem Kopf. An Carlos Alberto gewandt sagte er: »Euer Ansinnen ist nachvollziehbar.

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