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Der indigoblaue Schleier

Der indigoblaue Schleier

Titel: Der indigoblaue Schleier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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Carlos Alberto damit zur Weißglut trieb, aber er hatte sich die Stichelei einfach nicht verkneifen können. Wozu sollte es gut sein, blindwütig alles zu demolieren? Und wonach suchten diese Kerle überhaupt?
    Nach mehreren Stunden hatten die drei ein Werk der Vernichtung geschaffen, angesichts dessen Miguel vor Wut hätte heulen mögen. Doch er blieb stoisch auf einem der wenigen intakten Holzstühle sitzen und goss sich einen Portwein nach dem nächsten ein. Plötzlich hörte er aus Richtung des Speisezimmers ein triumphales »Ich habe es!« und wenig später ein großes Gezeter und Gefluche. Er schmunzelte. Was auch immer die Männer gefunden zu haben glaubten, es entsprach offenbar nicht ihren Erwartungen.
    Schließlich kam Carlos Alberto mit hochrotem Kopf zu ihm. »Wir kriegen dich, Miguel Ribeiro Cruz.«
    »Eine gute Heimfahrt und gesegnete Nachtruhe.«
    Carlos Alberto drehte sich auf dem Absatz um und lief hinaus, nicht ohne vorher noch alle Karaffen, die den Angriff wundersamerweise überlebt hatten, von der Anrichte zu fegen. Draußen bestiegen die drei gerade die Kutsche, als wildes Gekläffe und Geknurre zu hören war. Eine üble Vorahnung ergriff Miguel. Er eilte ans Fenster und sah, dass Panjo, der offenbar dem Gärtner ausgerissen war, sich in einer Wade verbissen hatte. Gerade als Miguel den Hund zurückpfeifen wollte, sah er einen Säbel aufblitzen. Ein rasselndes Geräusch, ein erschütterndes Röcheln, ein Schwall Blut – Miguel sah und hörte alles wie in Zeitlupe. Er rannte nach draußen.
    Die Kutsche fuhr so rasant an, dass der Kies spritzte und den Leichnam Panjos bedeckte.

[home]
49
    M iguel weinte. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er zum letzten Mal so bittere Tränen vergossen hatte. Wahrscheinlich als Kind, als er einem der gemeinen Streiche von Bartolomeu zum Opfer gefallen war.
    Er hatte in den vergangenen zwei Jahren alle möglichen Erniedrigungen, Verluste und Rückschläge ertragen, angefangen bei den falschen Beschuldigungen des schwangeren Mädchens in Portugal über die Zurückweisung durch Amba bis hin zu der Entdeckung, dass sein eigener Bruder die väterliche Firma bestahl. Er hatte die Cholera überlebt, und er hatte die Inquisition auf dem Hals. All das machte ihm weniger zu schaffen als der Tod seines treuen Hundes Panjo. Das Tier hatte ihm das Leben gerettet. Panjo war ihm Freund und Beschützer gewesen, Spielkamerad und Vertrauter, und die Aussicht, nie wieder den schmachtenden Blick aus den hellbraunen Augen zu sehen, nie wieder das weiche Bäuchlein streicheln zu können und nie wieder die begeisterten Küsse über sich ergehen lassen zu müssen, machte ihn trauriger, als der Tod so manches Angehörigen es getan hätte.
    Er hob eigenhändig ein Grab im Garten aus. Der Gärtner wollte ihm die Arbeit abnehmen, aber Miguel scheuchte ihn fort. Die körperliche Anstrengung tat ihm gut. Er zog sich Blasen an den Händen zu, die ihn, wenn auch nur kurz, von dem Schmerz in seinem Innern ablenkten. Sanft legte er den Leichnam in die Grube, dann schaufelte er die Erde wieder darauf. Die ersten Klumpen, die auf Panjos reglosen Körper fielen, machten ein seltsam trommelndes Geräusch, bei dem sich alles in Miguel zusammenzog. Er schaufelte weiter, bis von dem Tier nichts mehr zu sehen war. Als das Grab ganz aufgefüllt war, legte er aus Kiessteinchen ein Kreuz auf die Erde, dazu legte er einen angenagten Ball, das Lieblingsspielzeug des Hundes. Er kniete vor dem Grab und sprach im Stillen ein Gebet. Der einzige Trost war ihm die Vorstellung, dass Panjo schnurstracks in den Hundehimmel auffahren würde. Oder in einer höheren Reinkarnation auf die Erde zurückkäme.
    Eine sanfte Berührung an seiner Schulter ließ ihn aufschrecken. Konnte man denn nicht einmal in Frieden trauern? Verärgert über die Störung drehte Miguel sich um – und sah Amba dort stehen. Er hatte von ihrem Kommen sowie von dem Aufruhr unter den Dienstboten, den sie zweifellos ausgelöst hatte, nichts mitbekommen.
    »Panjo ist tot«, sagte er tonlos.
    »Ich weiß. Es tut mir leid. Er war ein guter Hund.«
    »Ja.« Miguel erhob sich schwerfällig und klopfte sich Erde von den Hosenbeinen. Er wollte jetzt nicht mit Amba reden. Er wollte allein sein mit sich und seinem Schmerz und einer Flasche guten Portweins. Wie hatte er ihren Besuch herbeigeträumt, wie sehr hatte er sich gewünscht, sie wiederzusehen! Doch nun, da sie vor ihm stand, war sie ihm lästig. Es gefiel ihm nicht, dass sie ihn in einem

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