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Der indigoblaue Schleier

Der indigoblaue Schleier

Titel: Der indigoblaue Schleier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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verliebt in die dicken nackten Amors von Caravaggio. Ich selber wurde noch nicht von Amors Pfeil getroffen, denn ich finde die Lissabonner Damen ziemlich unausstehlich. Eine gibt es allerdings, die ich mir demnächst einmal genauer ansehen werde …
    Wir sind in Gedanken bei Dir und in unserem heißgeliebten Goa. Halte durch.
    In tiefer Freundschaft,
    Dein Álvaro
    Miguel legte die dicht beschriebenen Bögen achtlos beiseite. Was er erfahren hatte, war schmerzlich für alle Beteiligten. Er wusste nicht, ob er den Mut aufbringen würde, seinem Vater von der Entdeckung zu berichten, die Álvaro gemacht hatte, ohne deren Bedeutung zu erahnen. Bei der im Handelsregister eingetragenen Besitzerin der »Casa Fernandes« handelte es sich nämlich um niemand Geringeren als seine Schwägerin Beatriz, deren Firma unter ihrem Mädchennamen geführt wurde. Und da Beatriz eine sehr naive junge Frau war, konnte nur ihr Mann dahinterstecken. Bartolomeu. Miguels eigener Bruder. Der Erstgeborene, der von den Eltern vergöttert wurde und der alle Vorrechte genoss. Der kluge, achtbare, rechtschaffene Bartolomeu.
    Warum tat sein Bruder so etwas? Indem er das väterliche Unternehmen bestahl, schädigte er doch auch sich selber, der er ja der designierte Nachfolger des Vaters war. Es ergab für Miguel absolut keinen Sinn. Wenn Bartolomeu den verständlichen Wunsch gehabt haben sollte, aus eigener Kraft etwas aufzubauen, so hätte er es einfach tun können. Warum diese Heimlichtuerei um die »Casa Fernandes« in Angola? Seine Eltern wären sogar noch stolzer auf Bartolomeu gewesen, als sie es ohnehin schon waren, wenn sie um dessen andere kaufmännische Aktivitäten gewusst hätten. Oder betrieb die »Casa Fernandes« irgendwelche illegalen Machenschaften? Sklavenhandel galt in der feinen Gesellschaft Lissabons als unfein, war jedoch nicht verboten. Und die Männer, die durch den Handel mit Menschen zu Reichtum gelangt waren, genossen durchaus ein gewisses Ansehen – Geld machte jeden anderen Makel wett.
    Miguel fragte sich, wie er nun am geschicktesten vorgehen sollte. Den Auftrag des Vaters, den hohen Verlust an Ware aufzudecken, hatte er erfüllt. Aber wie sollte er ihm davon berichten, ohne selber wieder schlecht dazustehen? Man würde ihm Missgunst vorwerfen, man würde ihn der Eifersucht auf den älteren Bruder bezichtigen, man würde ihm womöglich nicht einmal Glauben schenken, sondern ihm vorwerfen, er habe Álvaros Beobachtungen in Angola alle frei erfunden. Und wenn er einfach schwieg? Dann würde er als Faulpelz gelten, der sich nicht einmal die Mühe gab, die eine winzige Aufgabe zu erledigen, die man ihm aufgetragen hatte. Oder sollte er zunächst Bartolomeu direkt mit der Entdeckung konfrontieren und sich anhören, was dieser zu seiner Verteidigung vorzubringen hatte? Dann wiederum wäre sein Bruder gewarnt und könnte eventuelle Beweise für seinen Betrug verschwinden lassen.
    Miguel fiel nur ein einziger Ausweg aus dem Dilemma ein: Er würde seiner Schwägerin schreiben müssen, was in ihrem Namen vor sich ging. Sollte Beatriz sich doch mit Bartolomeu und den zu erwartenden Verwicklungen innerhalb der Familie herumschlagen. Er würde es ihr überlassen, ob Bartolomeu bloßgestellt wurde oder nicht, während er selber in einem Brief an die Eltern nur die Tatsachen zu schildern brauchte. Den Rest konnten sie sich entweder zusammenreimen oder aber von ihrer Schwiegertochter in Erfahrung bringen.
    Er erledigte die lästige Pflicht sofort, bevor sein Eifer in dieser Sache wieder verflog. Er setzte sich an den Sekretär und schilderte in einem Brief an Beatriz knapp und sachlich alles, was Álvaro beobachtet hatte. Er drückte sein Bedauern darüber aus, dass ihr Name so missbraucht worden war, und schickte herzliche Grüße an die ganze Familie. Er steckte den Brief in ein Couvert und legte dieses, wie üblich, in die Halle, damit er es bei seinem nächsten Ritt in die Stadt nicht vergaß.
    Anschließend machte er sich daran, seinen Eltern zu schreiben. Doch weiter als bis zur Anrede kam er nicht. Vom Hof her war Hufgetrappel zu hören, so dass er aufstand, um nachzusehen, wer ihn da besuchen kam. Er traute seinen Augen nicht: Carlos Alberto Sant’Ana! Dass dieser Kerl es noch wagte, sich hier blicken zu lassen.
    »Verschwinde«, rief er ihm vom geöffneten Fenster aus zu.
    »Was für ein grandioser Empfang, Miguel Ribeiro Cruz. Von einem Mann deiner Klasse hätte ich mehr Haltung erwartet.«
    »Erzähl mir nichts über

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