Der indigoblaue Schleier
ja?«
Amba überlegte einen Augenblick, bevor sie sich einverstanden erklärte. »Warum nicht? Eine vornehme junge Frau braucht ja auch eine Begleitdame. Ja, das ist sogar sehr gut. Es verleiht meiner Rolle noch mehr Glaubwürdigkeit. Und dann, glaub mir, Nayana, wird es niemand mehr wagen, uns schief anzusehen, uns auszunutzen oder zu betrügen. Wir müssen nur sehr, sehr vorsichtig und schlau zu Werke gehen.«
»Ach, Amba-Schatz, was würde ich nur ohne dich tun?«, sagte Nayana leise und drückte Ambas Hand.
Amba erwiderte den Druck sachte. »Und ich ohne dich?«
Keine drei Wochen später reiste ein sehr fein gekleidetes Ehepaar in einer luxuriösen Kutsche, die von zwei edlen Pferden gezogen wurde, ins östliche Karnataka. Sie wurden begleitet von einer Dienerin sowie von einem Trupp Trägern und Gehilfen, die auf Ochsengespannen folgten. Die Dame in der Kutsche war vollständig verschleiert, denn sie stammte aus dem Norden und hatte sich, obwohl sie dem hinduistischen Glauben anhing, an die überaus angenehme Sitte gewöhnt, ihr Gesicht nie vor anderen Männern als dem eigenen Ehemann zu entblößen. Der Herr wurde Senhor Manohar gerufen, seine Frau hieß Dona Amba. Gemeinsam wollten sie sich eine Indigoplantage ansehen, die zum Verkauf stand.
Es hatte Amba ein Vermögen gekostet, diese fremden Männer anzuheuern sowie die Kutsche und die Pferde zu kaufen. Aber die Investition, da war sie sicher, würde sich eines Tages auszahlen. Mit Indigo kannte sie sich besser aus als mit anderen Pflanzen, so dass der Verkäufer sie nicht so schnell übers Ohr hauen konnte. Und wenn die Plantage gut lief, würde sie genügend abwerfen, um ihr und Nayana ein komfortables Leben zu ermöglichen.
Der Kutscher sowie die Träger und Diener stellten keine Gefahr dar, denn sie glaubten die Geschichte von dem wohlhabenden Ehepaar, das sich in Goa angesiedelt hatte und nun geschäftlich ins Nachbarland reiste. Aber wie sollte Amba mit Manohar verfahren, dem Mann, der ihren Gemahl spielte? Vieles sprach dafür, ihn mit einer großen Summe Geldes und einer glaubhaften Mission nach Europa zu schicken. Gierig, wie er war, würde er eine solche Reise bestimmt sofort antreten, um nie wieder zurückzukehren. Das wäre ganz in Ambas Sinne gewesen. Außerdem würde so auch die Legende von dem Kaufmann, den Geschäftsreisen manchmal jahrelang von zu Hause forttrieben, gestützt werden. Aber konnte sie sich das finanziell überhaupt leisten?
Sie hatte den Diamanten ihrer Mutter schließlich doch versetzt. Sie hatte keine andere Möglichkeit gesehen, wenn sie sich eine überzeugende neue Identität zulegen wollte, die auch der schärfsten Überprüfung standhielt. Sie hatte den Juwelier jedoch darum gebeten, den Stein nicht sofort zum Verkauf anzubieten, sondern ihr die Chance zu geben, ihn innerhalb von fünf Jahren zurückzuerwerben. Der Juwelier hatte für seine Zustimmung sehr vorteilhafte Bedingungen ausgehandelt: Er zahlte ihr sofort ein Fünftel des Preises aus, den der Diamant bei einem offiziellen Verkauf erzielen würde – und würde ihn ihr in fünf Jahren mit einem Aufschlag von der Hälfte dieses Preises zurückverkaufen. Amba überschlug die Zahlen schnell im Kopf. Das entsprach einem jährlichen Zinssatz von rund
50
Prozent, was weniger war, als die meisten Geldverleiher nahmen. Sie und Rujul waren schnell handelseinig geworden.
»Wie konntest du nur?«, hatte Nayana gezetert. »Er war das einzige Andenken an deine liebe Mutter!«
»Wir holen uns den Stein ja zurück.«
»Ach, und wer sagt dir, dass dieser diebische Juwelier ihn nicht schon heute an den Höchstbietenden verkauft?«
Amba wunderte sich über dieses kurze Aufflackern von gesundem Menschenverstand. In jüngerer Zeit hatte Nayana nicht gerade mit intelligenten Einwänden brilliert.
»Das«, und hier senkte sie ihre Stimme und fuhr in verschwörerischem Ton fort, »weiß ich deshalb so genau, weil ich über geheime Zauberkräfte verfüge. Ich habe ihm schlimme Plagen geweissagt, die über ihn kommen werden, wenn er sein Versprechen bricht.«
»Oh, Amba! Damit treibt man keine Scherze! Was, wenn nun eine dieser Plagen ihn wirklich heimsucht?«
Amba verdrehte die Augen. »Für diesen Fall habe ich ein von ihm unterschriebenes Dokument. Außerdem wird er niemanden finden, der ihm für den Diamanten
15 lakh
zahlt. Er ist zehn
lakh
wert, zwei
lakh
habe ich bekommen.«
Nayana verstand nichts von Zahlen. Aber dass zwei lakh eine immense Summe waren, das
Weitere Kostenlose Bücher