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Der indigoblaue Schleier

Der indigoblaue Schleier

Titel: Der indigoblaue Schleier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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Vollendung des Auftrags, fällig. »Hier«, sagte sie und reichte Manohar einen Beutel mit Münzen. »Du brauchst nicht nachzuzählen. Ich habe fünf Goldtaler abgezogen – die Hälfte des von dir einbehaltenen Geldes. Ich denke, damit bist du mehr als angemessen für deine eigenmächtige und peinliche Schacherei entlohnt.«
    Manohar bleckte seine gelben Zähne. »Natürlich, liebe Gemahlin, wird das ein Nachspiel haben.« Er ließ den Blick über ihre Gestalt und ihr verschleiertes Haupt wandern, bevor er fortfuhr: »Ich finde, es wäre jetzt an der Zeit, dass ich meiner Gemahlin direkt in die Augen schauen kann.« Er streckte seine Hände aus, um den Schleier zu lüften, doch Amba schlug sie fort. »Du Dreck unter den Krallen eines Straßenköters!«
    In dem Augenblick kam Nayana hereingeplatzt. »Ihr habt nach mir gerufen, Herrin?« Die beiden hatten zuvor vereinbart, dass, sollte Manohar zudringlich werden, Nayana eingriff.
    »Ja, begleite Senhor Manohar bitte hinaus.« Amba entließ den verdutzt dreinschauenden Mann mit einer hoheitsvollen Geste und entschwand in ihre Privatgemächer.
    Es sollten Monate vergehen, bevor sie wieder von ihm hörte.
     
    Amba suchte ein abgeschiedenes Grundstück auf der anderen Seite des Mandovi-Flusses, auf dem sie ihr Haus errichten ließ. Für den Bau eines Fluchttunnels holte sie sich Arbeiter aus dem Dorf bei ihrer Indigoplantage. Als Diener stellte sie ausschließlich Leute ein, die ihr ihr Leben verdankten und deren ewiger Ergebenheit sie sich einigermaßen sicher war. Sie streute das Gerücht von einem ständig abwesenden Ehemann, den Geschäfte nach Europa führten. Bei einer Missionarin, die sich in ihre Gegend verirrt hatte, einer katholischen Ordensschwester, nahm sie Unterricht in Portugiesisch und den Grundzügen der katholischen Glaubenslehre, und von einer älteren Inderin, die im nächstgelegenen Dorf als weise Frau galt, erhielt sie Lektionen in Konkani sowie den lokalen Götterlegenden.
    Jede Gegend in Indien dichtete nämlich den gleichen Göttern verschiedene Abenteuer an, die regional geprägt waren. So hieß es in Goa, dass der unvergleichlich schöne Küstenstreifen vom Gott Parasurama geschaffen worden sei, der sechsten Inkarnation von Vishnu. Der habe eines Tages aus der Höhe der Sahyadri-Berge einen Pfeil ins Meer geschossen und den Wellen befohlen, sich bis zu dem Punkt zurückzuziehen, an dem sein Pfeil aufgetroffen war. Auf dem solchermaßen entstandenen, vollkommen reinen Land habe er den Frieden für seine Opferrituale gefunden. Der alte Name Govepuri wiederum, aus dem bei den Portugiesen Goa wurde, leitete sich angeblich von Kühen her. Diese wurden von bezaubernden Hirtinnen gehütet, bei denen Krishna seinen vielgerühmten Charme spielen ließ.
    Es gefiel Amba in Goa. Das Klima behagte ihr, denn es war nicht von solchen Extremen geprägt wie das im Binnenland. Auch die Wesensart der einheimischen Bevölkerung empfand sie als angenehm. Vielleicht war deren ausgeglichenes Temperament eine direkte Folge des Wetters und der geographisch privilegierten Lage. Es gab hier keine Hungersnöte, denn Meer und Flüsse, Wälder und Wiesen waren großzügig mit ihren Gaben. Es hätte ein paradiesisches Fleckchen Erde sein können, in dem Amba, gleich Parasurama, ihren Frieden gefunden hätte – wären da nicht die zunehmend beunruhigenden Meldungen von den Umtrieben der Kirche sowie Ambas tiefsitzende Angst vor Entlarvung gewesen. Je mehr Zeit verstrich, desto unwahrscheinlicher wurde es zwar, dass man ihr noch immer nachsetzte, doch solange sie darüber keine absolute Gewissheit hatte, würde sie mit dem Schlimmsten rechnen müssen. Und dann war da ja auch noch Manohar.
    Sie hatte von ihm weder etwas gehört noch gesehen. Aber es erschien Amba sehr fraglich, ob der Gierschlund tatsächlich Ruhe geben würde. Der Mann war ein gemeiner Erpresser, und sie hatte keinerlei Zweifel daran, dass er, wenn sein Geld aufgebraucht war, wieder zu ihr kommen würde.
     
    Die Monsune kamen und gingen. Manchmal wunderte Amba sich darüber, dass schon wieder Teile des Dachs neu gedeckt werden mussten oder andere Reparaturen anstanden. Sie war doch gerade erst eingezogen! Dann rechnete sie nach und stellte fest, dass sie bereits seit vier Jahren in ihrem selbstgewählten Exil lebte. Sie war
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 Jahre alt, bald schon eine alte Frau. Aber sie war es zufrieden. Man ließ sie in Ruhe, der schreckliche Manohar war in der Versenkung verschwunden, ihr Wohlstand nahm zu. Auch

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