Der indigoblaue Schleier
Fuß durch die unbekannten Wälder, in denen der Säbel ihnen wertvolle Dienste leistete, und das nicht nur, um ihre Bäuche mit Fleisch zu füllen. Einmal gelang es Amba sogar, einen jungen Tiger damit abzuwehren. An längere Aufenthalte, bei denen sie eine Arbeit hätten annehmen können, war diesmal nicht zu denken: Sie mussten ihren Häschern so schnell wie möglich entkommen.
Als sie es nach monatelangen Märschen endlich an die Westküste Indiens geschafft hatten, hätte ihre Enttäuschung kaum größer sein können. Schnell stellten sie fest, dass die Portugiesen auch nicht anders waren als Inder, nur ungepflegter. Die Männer hielten das Zepter fest in der Hand, Frauen hatten sich zu fügen. Ihre sonderbare Religion duldete, ähnlich wie der Islam, keine Vielgötterei, war aber deutlich intoleranter anderen Glaubensrichtungen gegenüber. Die Moguln hatten wenigstens die hinduistischen Tempel nicht zerstört, was die Portugiesen mit großem Eifer taten. Der einzige Vorteil an Goa war, dass die Hauptstadt so groß und ihre Bevölkerung so bunt gemischt war, dass zwei Frauen in fadenscheinigen Baumwollsaris und mit schwieligen Füßen überhaupt nicht auffielen.
Diesmal waren die beiden Gefährtinnen klüger als bei ihrer ersten Flucht – und reicher. Natürlich wollten sie auch jetzt nicht Ambas mütterliches Erbe, erneut in einem Knäuel Garn versteckt, verkaufen. Aber sie hatten ja noch den Säbel. Aus diesem lösten sie die Edelsteine, bevor sie die aus Gold und Silber geschmiedeten Teile verkauften. Hierbei machten sie die Bekanntschaft zahlreicher Juweliere und Hehler, so dass sie bald genau wussten, wer gut zahlte und wer vertrauenswürdig war. Erst dann begannen sie damit, und auch nur vereinzelt, die Steine anzubieten.
»Wenn wir uns hier sesshaft machen wollen«, grübelte Amba eines Tages laut vor sich hin, »müssen wir uns eine Geschichte ausdenken, die keiner je als unwahr entlarven kann. Und wir brauchen eine Geldquelle, die regelmäßig sprudelt.«
Nayana wackelte mit dem Kopf. Sie hatte sich damit abgefunden, dass ihr kleiner Liebling nicht mehr gar so klein und schutzbedürftig war – und hatte nun sich selber die Rolle der Hilflosen zugedacht. Sie flüchtete sich in Aberglauben und Selbstkasteiung. Sie hatte ihr Haar geopfert, hatte sich halb totgefastet und suchte dann, nachdem Amba ihr die Askese verboten hatte, ihr Heil in übertrieben vielen
pujas,
Andachten. In den Tempeln, die der Zerstörungswut der Portugiesen entgangen waren, war sie sehr freigiebig mit
prasad,
den Opferspeisen, bis erneut Amba eingegriffen hatte.
»Wir kämpfen um unser Überleben. Du kannst nicht so viel
panchamrita
zum Tempel bringen. Uns nützt es mehr, wenn es unsere Bäuche füllt, als der Göttin, wenn du sie damit begießt.«
Nayana sah das ganz anders. Wozu brauchten sie beide, gewöhnliche Sterbliche, den Nektar aus Milch, Joghurt, Butter, Honig und Zucker? Die Götter dagegen machte man sich nur gewogen, wenn man sie mit derart himmlischen Gaben beschenkte, nicht jedoch dadurch, dass man ihnen Kichererbsenmehl darbot. Doch Nayana hatte sich eine Erwiderung verkniffen und, genau wie jetzt auch wieder, ihre untertänigste Seite hervorgekehrt und ergeben mit dem Kopf gewackelt.
»Wir müssen«, fuhr Amba nun in ihren Überlegungen fort, »ein Geschäft gründen oder Land kaufen. Es geht nicht, dass wir nach und nach die Edelsteine zu einem viel zu niedrigen Preis losschlagen. Was sollen wir tun, wenn sie eines Tages alle verkauft sind? Nein, wir müssen uns etwas aufbauen, das uns längerfristig ernährt.«
»Du hast recht, Bhavani-Schatz.«
»Nenn mich bitte Amba.«
»Natürlich, Amba.« Nayana dachte darüber nach, was es zu bedeuten hatte, dass Bhavani – Uma – Amba jetzt schon ihr drittes Leben begann, und ob es klug war, erneut der Göttin Parvati zu huldigen. Viel Glück hatte sie ihnen ja bisher nicht gebracht.
»Außerdem habe ich beschlossen, dass wir uns nicht hinter diesen Bettelgewändern verstecken müssen. Je stolzer wir durchs Leben schreiten und je selbstverständlicher wir unseren Reichtum zur Schau stellen, desto weniger werden die Leute anzweifeln, dass es sich bei uns um Edeldamen handelt.«
»Bei dir, Bha … Amba, bei dir werden sie es sofort glauben, denn du bist ja auch von hoher Geburt. Ich aber will mich nicht als etwas ausgeben, das ich nicht bin. Es war schon schwer genug, deine Schwiegermutter zu spielen. Lass mich jetzt wieder deine alte
ayah
sein,
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