Der indigoblaue Schleier
irgendwie animalisches Geräusch. Dann ergoss er seinen Samen auf seinen eigenen Bauch, während Amba ihm forschend ins Gesicht sah.
»Warum …?«, fragte er sie matt.
»Der Zeitpunkt war der falsche«, antwortete sie, und es war ihr deutlich anzuhören, dass sie nicht minder enttäuscht über das Ende ihrer Vereinigung war als er.
Er verstand nicht, was sie meinte. Seiner Meinung nach hätte der Zeitpunkt nicht richtiger sein können. Amba bemerkte seine Zweifel. »Aber weißt du denn nicht, dass es bestimmte Tage gibt, an denen der Samen des Mannes auf fruchtbaren Boden fällt, und an anderen nicht? Wenn die Frau diese Tage kennt, kann sie sich vor einer unerwünschten Schwangerschaft schützen.«
Miguel hatte keine Ahnung von derartigen Dingen. Die Aufklärung, die er hinter vorgehaltener Hand genossen hatte, war entweder von Verschämtheit oder von Zotigkeit bestimmt gewesen, nie jedoch wurden solche praktischen Aspekte zur Sprache gebracht. Soviel er wusste, war es bei der Erziehung von Frauen kaum anders – wenn überhaupt, lernten sie noch weniger über den Liebesakt, als es die Männer taten. Wussten portugiesische Frauen etwas über diese Tage, von denen Amba gesprochen hatte? Er bezweifelte es. Hätte es sonst so viele gefallene Mädchen gegeben, oder Ehen, denen Sechs-Monats-Kinder entsprangen?
Er wischte sich den Schweiß von der Stirn und versuchte, sich seine Kränkung nicht anmerken zu lassen. Im entscheidenden Augenblick zurückgewiesen zu werden tat weh. Und obwohl er Ambas Weitsicht bewunderte, fand er, dass Klugheit sich schlecht mit Leidenschaft vertrug.
Amba merkte sehr genau, was in ihm vorging. Auch sie hätte nichts lieber getan, als mit Miguel gemeinsam den Höhepunkt der körperlichen Vereinigung zu erleben. Aber war es das wert? Ein kurzes Vergnügen, ein hastig vollzogener Akt in einer Situation, die ihrer unwürdig war – das war es nicht, was sie unter einem gelungenen Liebesspiel verstand. In einer Sache, die zu den schönsten der Welt gehörte und an die sie sich ohne Scham erinnern wollte, konnte sie sich doch nicht an einem Ort wie diesem begatten lassen. Sie waren doch keine Tiere.
»Komm in der ersten Vollmondnacht eures Monats Januar zu mir. Ich werde dafür sorgen, dass wir allein und ungestört sind. Und dann unterweise ich dich in der indischen Kunst des Liebens.«
Miguel war ein wenig enttäuscht. Sollte das heißen, dass die westliche Kunst des Liebens,
seine
Art des Liebens, ihr nicht gefallen hatte? Andererseits klang ihre Ankündigung wie die himmlischste Verlockung, die er sich vorstellen konnte.
Um nichts in der Welt würde er es in dieser ersten Vollmondnacht im Januar versäumen, bei ihr zu sein. Die Wochen, die bis dahin vor ihm lagen, erschienen ihm wie eine Ewigkeit.
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50
Goa, Oktober 1628
I
n den Dörfern, die Bhavani und Nayana passierten, gab es unter den Frauen nur ein Gesprächsthema. Alle redeten über die Witwe, die ihre Selbstverbrennung angekündigt hatte, nur um sich dem ehrenvollen Freitod im letzten Augenblick zu entziehen und die Familie darüber hinaus noch dadurch zu beschämen, dass sie sie bestahl. Es war beeindruckend, wie schnell die Nachricht sich verbreitete, doch noch faszinierender war es, wie sie sich veränderte. Bereits fünf Tage nach ihrer Flucht hörten Bhavani und Nayana, dass die
sati
mit einem bösen Fluch behaftet gewesen sei und man sie sofort daran erkennen könne, dass einem in ihrer Gegenwart die Glieder schwer würden und einen bleierne Müdigkeit lähme. Sie erfuhren ebenfalls, dass der gestohlene Schatz sehr groß und schwer sei und daher vermutlich irgendwo vergraben liege. Zahlreiche Jünglinge machten sich tatsächlich auf die Suche, doch keiner von ihnen fand mehr als eine rostige Paisa oder eine abgebrochene Speerspitze. Es hieß weiterhin, dass die vermeintliche
sati
in Begleitung einer anderen Hexe sei, die, wenn sie auch nur den Schatten einer schwangeren Frau berühre, bei dieser eine sofortige Fehlgeburt auslöse.
»Oh, Bhavani, was geschieht denn nun mit der freundlichen Kleinen, die uns gekochte Linsen gegeben hat? Sie war bestimmt schon im siebten Monat, und ich habe ihre Füße berührt.«
»Sie wird eine Fehlgeburt erleiden, was denn sonst?«, herrschte Bhavani ihre
ayah
an. Der Geisteszustand der Alten machte ihr wirklich Sorgen. Dass ausgerechnet Nayana sich von der allgemeinen Hysterie anstecken ließ, war unentschuldbar. Aber warum sollte sich gerade ihr Verstand gegen die bösen
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