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Der indigoblaue Schleier

Der indigoblaue Schleier

Titel: Der indigoblaue Schleier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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ihre Augen schon wieder feucht werden.
    Die Glocke ertönte ein weiteres Mal, worüber Isabel dankbar war. Das enthob sie der Pflicht, weitere hohle Worte auszusprechen. »Nun denn, Miguel Ribeiro Cruz, leb wohl.«
    »Leb wohl, Isabel de Matos.«
    Er half ihr, sich von dem Schemel zu erheben, auf den sie nach Ambas Erscheinen gesackt war, und führte sie am Arm zu dem Fallreep. Dort nahm ein Matrose sie in Empfang und geleitete sie aufs Deck. Die Galeone, mit der Isabel reiste, war riesig, und sie wirkte oben an der Reling klein und zerbrechlich. Als die Glocke ein drittes Mal geschlagen wurde, erschienen plötzlich auch wieder die anderen, die zu Isabels Verabschiedung gekommen waren. Maria Nunes gesellte sich zu Miguel, genau wie Juliana und Afonso Queiroz. Den Augenblick, in dem das Schiff ablegte, wollte niemand sich entgehen lassen, und alle wollten Isabel zuwinken, bis sie nur noch ein winziger Punkt am Horizont war.
    Isabel war erleichtert, als sie die Stadt endlich nicht mehr sah und das Schiff die Mündung des Mandovi erreichte. Die Luft roch nach Salz, Möwen und andere Vögel folgten der großen, aufgetakelten Galeone mit ihren nun prachtvoll geblähten Segeln. Sie verfolgte mit dem Blick die Küstenlinie, die sie bei ihrer Ankunft im Regen gar nicht hatte erkennen können. Jetzt wogten die Palmen im Wind, weiße Strände erstreckten sich bis in unendliche Entfernung. Es war ein Panorama, das sie durchatmen ließ und ihr ein Gefühl von Frieden vermittelte, wie sie es seit Monaten nicht erlebt hatte.
    Als ihr Dienstmädchen neben sie trat, mit verquollenen Augen und verlaufenem Khol, straffte Isabel die Schultern. Bei all ihren eigenen Sorgen hatte sie ganz übersehen, dass dieses Mädchen es eigentlich viel schwerer hatte als sie selber. Es verließ seine Heimat und seine Familie, und das nicht aus eigenem Entschluss, sondern weil ihm wahrscheinlich keine andere Wahl geblieben war. Isabel nahm die Hand des Mädchens und drückte sie aufmunternd. So war es gut, dachte sie. Solange sie jemanden hatte, um den sie sich kümmern konnte, traten ihre eigenen Probleme in den Hintergrund.
    »Lass uns in die Kabine gehen«, sagte sie, »du musst meine Truhe auspacken und die Kleider aufhängen, damit sie nicht zerknittern.«
    Das Mädchen rollte ergeben mit dem Kopf und zauberte damit ein Lächeln auf Isabels Gesicht. Gemeinsam wankten sie über die Holzplanken zu der Kabine. Das Schiff war mittlerweile so weit von der Küste Indiens entfernt, dass man das Land nur noch als nebelhaften Schemen wahrnehmen konnte. Man sah zwar keine Schaumkronen, aber die Dünung war stark genug, um das Gleichgewichtsgefühl der beiden jungen Frauen erheblich zu beeinträchtigen. Sie lachten, als sie beinahe übereinander stolperten, und das Dienstmädchen fragte sich einen Augenblick, wohin auf einmal die schwere Erkrankung ihrer neuen Dienstherrin entfleucht war. Vielleicht war das Schiff zu schnell, so dass weder ihre Aura noch Leiden aller Art ihnen folgen konnten.
    In der Kabine gab Isabel dem Mädchen genaue Anweisungen, was es wohin zu hängen und wie zu verstauen habe. Dann ließ sie es dort allein arbeiten. Schlimm genug, dass das Mädchen die Kabine mit ihr teilen sollte, wobei ihm einzig ein Platz auf dem Fußboden zustand, auf dem es seine Matte ausrollen konnte. Sie mussten nicht auch noch tagsüber aneinanderkleben wie die Kletten. Und sie, Isabel, brauchte einen Moment des Alleinseins.
    Sie hangelte sich durch einen schmalen Flur und über eine ebenso schmale Treppe wieder hinauf an Deck. Die Matrosen eilten jetzt, da das Schiff volle Fahrt aufgenommen hatte, nicht mehr hektisch herum, so jedenfalls wollte es Isabel erscheinen, die von der Seefahrt so gut wie gar nichts verstand. In einem Winkel, in dem Eimer mit Teer standen und Taue lagen, die so dick wie ihre Oberschenkel waren, setzte sie sich auf einen Holzpoller. Nachdem sie sich vergewissert hatte, dass sie unbeobachtet war, holte sie den Beutel hervor, den Amba ihr überreicht hatte.
    Vorsichtig löste sie die Kordel, mit dem er zugebunden war. Dann ließ sie seinen Inhalt herausgleiten. Es war ein Stein. Oder vielmehr eine unregelmäßig geformte Murmel? Das Stück war glasklar und von der Größe eines Taubeneis. Dass es ein Edelstein sein könnte, hielt Isabel für ausgeschlossen. Er wäre von unermesslichem Wert. Vielleicht handelte es sich um einen Talisman, um einen Halbedelstein, der seinem Besitzer Glück versprach, oder einen Kristall, der einen Blick

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