Der indigoblaue Schleier
rechthaberisch und wichtigtuerisch er da hinter dem Schreibtisch hockte, so als sei er der Herr im Haus. Aber das sollte im Augenblick ihre geringste Sorge sein.
»Wir sind nur knapp einer Verhaftung entgangen«, erklärte Miguel dem anderen Mann nun. »Ich habe nichts außer dem, was ich am Leib trage.« Außer, dachte er bei sich, das Wichtigste überhaupt: sein Leben und Amba. Aber das mochte er hier nicht aussprechen. »Wir müssen fort aus Goa. Und Euch bitte ich um Eure Mithilfe.«
»Natürlich, Senhor Miguel.«
»Ich werde Euch dafür angemessen entlohnen.«
Senhor Furtado öffnete den Mund, um Einspruch zu erheben, doch Miguel ließ ihn nicht zu Wort kommen. »Nicht mit Gold oder Edelsteinen, denn davon habt Ihr wahrscheinlich ohnehin mehr, als Ihr braucht. Ich gebe Euch eine vertrauliche Information über den Betrüger, der unser Handelshaus schädigt. Ich weiß, wer es ist.«
»Wer?«, fragte Furtado atemlos.
»Schickt einen Burschen zum Solar das Mangueiras, etwa unter dem Vorwand, dort Geschäftsunterlagen abzuholen. Er soll in der oberen rechten Schublade meines Sekretärs nach einem Brief aus Portugal suchen. Er ist leicht an dem blau eingefärbten Couvert zu erkennen.«
»In Ordnung.« Furtado merkte, dass jetzt nicht der ideale Moment war, um den Sohn seines Arbeitgebers zu unterbrechen. Senhor Miguel würde schon noch alles berichten.
»Unterdessen beherbergt uns irgendwo. Wir waren die ganze Nacht auf den Beinen. Wir müssen ein wenig schlafen. Wir müssen uns waschen, und wir brauchen frische Kleidung.«
»In Ordnung.« Furtado kratzte sich am Kopf, während er fieberhaft darüber nachdachte, wo er die beiden unterbringen konnte. Im Kontorhaus und bei ihm zu Hause würde man womöglich nach ihnen suchen. Vielleicht bei der Cousine seiner Gemahlin, die allein lebte und zurzeit eine Pilgerreise an den Ganges machte? Ja, warum nicht? Ihre Dienerschaft hatte sie für die Zeit ihrer Reise fortgeschickt und das Haus verschlossen.
»Wenn Ihr den Brief habt, lest ihn. Und entscheidet dann, wie zu verfahren ist. Danach versucht, uns eine Passage auf dem nächsten Schiff zu buchen, das ablegt, ganz gleich, wohin es fährt. Sobald wir ausgeruht sind, am Nachmittag oder am frühen Abend, kommt uns in unserer Unterkunft besuchen. Dann reden wir weiter.«
»In Ordnung.« Furtado stand auf und ging zu einem Wandschrank. Er zog daraus eine komplette indische Alltagskluft hervor, die er immer parat hatte, falls er an sehr heißen Tagen seine Kleidung durchschwitzte. »Zieht das an. Es wird nicht gut passen, aber fürs Erste seid Ihr damit unauffälliger als in Euren Sachen. Niemand beachtet Männer in weißen
dhotis
und
kurtas.
« Er sah an Amba herab und stellte fest, dass sie keiner Veränderung bedurfte. Ihr Sari war von unauffälliger Beschaffenheit, und da niemand in der Stadt je ihr Gesicht gesehen hatte, würde sie keine Aufmerksamkeit erregen. Gemeinsam konnten die beiden gut und gerne als Handwerkerpaar durchgehen.
»Kommt mit.« Furtado kramte einen Schlüssel aus dem Ablagefach seines Sekretärs und ließ ihnen beiden den Vortritt, als sie sein Büro verließen. Danach ging er voran. Er bewegte sich mit großer Anmut und Selbstverständlichkeit, stellte Amba beruhigt fest, und nicht etwa verhuscht wie jemand, der zwei Flüchtige im Schlepptau hatte. Sie folgten ihm durch Hauptstraßen und verwinkelte Gassen, bis sie vor einem Gebäude standen, das nach wohlhabenden, aber nicht nach schwerreichen Bewohnern aussah. Er öffnete die Haustür, stieg erstaunlich behende für einen Mann seiner kräftigen Statur die Treppen zum oberen Stock hinauf und schloss die Wohnungstür auf.
Ein abgestandener Geruch schlug ihnen entgegen. Hier war schon seit längerem nicht mehr gelüftet worden. Dennoch wollte die Bleibe Amba und Miguel als feudale Residenz erscheinen, als sie das Bett im Gästezimmer sahen, die dicke Matratze und die saubere Leinenwäsche.
»Hier könnt Ihr bleiben, bis ich alles geregelt habe. Sollte uns jemand gesehen haben und Fragen stellen, werde ich sagen, ich hätte ein neues Hausmeisterpaar eingestellt. Ihr haltet Euch bitte ebenfalls an diese Version.«
Beide nickten. Sie waren ohnehin zu erschöpft, um Einwände zu erheben oder Fragen zu stellen.
Nachdem Furtado gegangen war, fielen sie beide in ihrer Kleidung auf das komfortable Bett und sanken sofort in einen tiefen, traumlosen Schlaf.
Amba erwachte als Erste. Die Nachmittagssonne fiel durch die Lamellen der Fensterläden
Weitere Kostenlose Bücher