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Der indigoblaue Schleier

Der indigoblaue Schleier

Titel: Der indigoblaue Schleier Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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Kokospalmen glänzten in frischem Grün, auf den Wiesen sprossen Wildblumen in allen Farben. Tiere wie Menschen waren ebenfalls von neuer Energie erfüllt. Affenbanden schwangen sich übermütig durch die Wälder und wagten sich nicht selten in die Gärten der Stadtbewohner, die die frechen Tiere lauthals verjagten. Die Vögel sangen, zwitscherten und trällerten, dass es eine Freude war, und endlich sah man sie auch wieder in ihrem farbenfrohen Gefieder.
    Als Miguel frühmorgens vor das Haus trat, flatterte ein Martinsfischer direkt vor ihm über den gepflasterten Weg und erfreute ihn mit seinem leuchtenden Blau. Die Sonne stand noch tief und tauchte den üppig sprießenden Garten in ein goldenes Licht. Tautropfen schillerten in den feinen Fäden der Spinnweben, die sich zwischen höheren Grashalmen spannten. In der Luft lag das Aroma der feuchten Pflanzen, darüber schwebte der Duft der vielen kleinen Feuer, deren Qualm der Wind vom nahe gelegenen Dorf herübertrug.
    Hatte Miguel gehofft, die verzauberte Stimmung dieses Morgens allein genießen zu können, so wurde er enttäuscht. Der
mali,
der Gärtner, war bereits auf den Beinen, und einer seiner Gehilfen lief in gebückter Haltung über den Weg, um herabgefallene Blütenblätter und Laub fortzufegen. Auch dieses würde, so wusste Miguel, zu einem Haufen aufgetürmt und später angezündet werden. Die beiden Männer bewegten sich, so wollte es Miguel vorkommen, schneller als in den Monaten der Regenzeit. Und warum sollte es ihnen auch anders gehen als ihm selbst? Er fühlte sich erfrischt und voller Tatendrang.
    Miguel ließ sein Pferd satteln und nahm unterdessen ein leichtes Frühstück zu sich. Langsam gewöhnte er sich daran, morgens einen Gewürztee zu trinken sowie die hauchdünnen ausgebackenen Linsenfladen mit einer scharfen Tunke zu essen, gefolgt von frischem Obst. Obwohl Miguel für ein kleines Vermögen Weizenmehl beschafft hatte, war der Koch schlichtweg nicht in der Lage, ein portugiesisches Frühstück anzurichten, und der Appetit auf deftige Dauerwürste, wie man sie in der Stadt bekam, war Miguel im hiesigen Klima vergangen.
    Er gab der Dienerschaft ein paar knappe Anweisungen, was er heute von ihr erwartete – wohl wissend, dass er sich glücklich schätzen durfte, wenn sie auch nur die Hälfte davon erledigten. Dann ließ er sich in die Stiefel helfen und schwang sich in den Sattel. Kaum hatte er die Grenzen seines Grundstücks hinter sich gelassen, befand er sich in einer anderen Welt. Die geharkten Muschelkieswege auf seinem Anwesen wurden durch holprige Lehmwege ersetzt, die ordentlich beschnittenen Sträucher des Gartens durch wild wucherndes Grün am Wegesrand. Die Felder, die seine Route säumten, lagen friedlich in der Morgensonne. Wasserbüffel standen faul in den überschwemmten Niederungen und ließen sich nicht von den Reihern stören, die auf ihnen herumstaksten.
    Ein Ochsenkarren kam Miguel entgegen. Die gewaltigen Hörner der Tiere waren rot lackiert. Dann überholte er eine Gruppe von Feldarbeitern. Es waren auch viele Frauen darunter, die, wie Miguel schon öfter beobachtet hatte, genauso schwere Arbeiten verrichteten wie die Männer. Die Körbe, die sie auf ihren Köpfen balancierten, waren noch leer, doch später würden sie darin wahrscheinlich Steine transportieren, die die Männer zuvor aus dem Boden geholt hatten.
    Als er das Dorf erreichte, stoben ein paar Geier auf, die sich an einem nicht mehr zu identifizierenden Kadaver gütlich getan hatten. Vor den bescheidenen Hütten der Dorfbewohner flackerten Feuer. Um sie herum saßen die Familien, in der Hocke die meisten, das Gesäß in der Luft. Es war eine Haltung, die Miguel anatomisch unmöglich und noch dazu sehr unbequem erschien, so ganz ohne Stuhl, Kissen oder irgendeine Art von Sitzgelegenheit. Doch den Indern behagte es offenbar. Selbst alte Männer hockten da, die braunen, faltigen Beine so stark angewinkelt, dass die Knie sich auf Ohrenhöhe befanden. Sie trugen nichts weiter als ihre weißen Tücher, die sie zur Hose gewickelt hatten. Die Frauen, auch sie in der Hocke, hatten ebenfalls ein Ende ihres Saris durch die Beine geschlungen und vorn im Rockbund festgesteckt, so dass sie aussahen, als trügen sie Hosen. Die jüngeren Frauen waren in Bewegung, sie kochten und versorgten die Familie mit dem Essen, das auf Bananenblättern gereicht und mit den Fingern verzehrt wurde. Die Kinder, fast nackt, liefen dazwischen herum und ärgerten die Hühner. Der eine oder

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