Der indigoblaue Schleier
Und so stellte er ihn sich vor, den unbekannten
zamindar,
als einen rechthaberischen, magenkranken, selbstherrlichen Greis. Da war ihm die Gemahlin lieber, insbesondere, da diese sich nie in die Angelegenheiten der Dörfler mischte und keine Entscheidung des
panchayat,
des Ältestenrates, je anzweifelte. Vermutlich wäre es besser, der Alte tauchte nie auf.
Ein Räuspern lenkte Ambas Aufmerksamkeit von Rupesh ab.
»Ja, was ist denn, Nayana?«, fragte Amba ungehalten.
»Verzeiht, dass ich Euch unterbreche, Herrin, aber es ist schon nach Mittag. Wir sollten uns auf den Rückweg machen. Ihr habt noch weiteren Pflichten nachzukommen.«
»Selbstverständlich, danke, dass du mich daran erinnert hast, Nayana.« Diesmal war Ambas Ton kühl und sachlich, obwohl sie über die verabredete Unterbrechung schmunzeln musste. Zum Glück sah es ja niemand. Jedes Mal, wenn ein Gespräch eine unschöne Wendung zu nehmen begann, wenn jemand gefährliche Fragen stellte oder wenn, wie heute, jemand mit einem persönlichen Anliegen zu aufdringlich wurde, schritt Ambas alte Amme ein.
Rupesh sah die andere Frau vernichtend an. Was fiel der Alten ein, sich einzumischen? War es nicht schon schlimm genug, dass er das Tagesgeschäft mit einer Frau besprechen musste? Womit hatte er es verdient, dass er und die Gemahlin des
zamindar
sich nun den Anweisungen einer Dienerin zu beugen hatten?
»Nun, du hast es gehört, Rupesh. Wir müssen aufbrechen. Im Dorf sind verschiedene Dinge zu regeln, zu denen ich genaue Instruktionen meines Gemahls habe. Und wir haben dem
panchayat
unser Kommen für heute versprochen. Morgen müssen wir uns leider wieder auf die Heimreise begeben. Aber du weißt ja, wo du uns erreichen kannst, falls dir noch andere Wünsche einfallen, die du meinem Gemahl unterbreiten möchtest.«
Rupesh blickte betreten zu Boden. Er hatte verstanden. Er wünschte Amba eine gute Reise und faltete zum Abschied die Hände vor der Brust, um dann den Kopf vor ihr zu verneigen. Amba erwiderte die Geste, allerdings mit einer nur angedeuteten Verneigung. Dann verließ sie leichten Schrittes den schattigen Unterstand, dicht gefolgt von Nayana. Der Baldachinträger, der den Damen auf Schritt und Tritt Schatten zu spenden hatte, reagierte auf den schnellen Abgang zu spät. Er hatte gedöst – und würde später die ganze Wut Rupeshs zu spüren bekommen.
Am späten Nachmittag saß Amba im Empfangsraum ihres Hauses, um sich von einem Sprecher des Ältestenrats diejenigen Dinge vortragen zu lassen, in denen der
panchayat
selber zu keiner befriedigenden Lösung gelangt war. Sie war hinter einer mit feinen Blumenmustern durchbrochenen Holzwand vor den Blicken des Mannes verborgen.
»Ambadevi«, fragte der Alte nun, »wie hat Euer Gemahl in der Sache der Witwe Savita entschieden?«
Dabei war es um eine Witwe gegangen, die keine Söhne hatte, die sich um sie hätten kümmern können. In einem solchen Fall blieb den Frauen meist nichts anderes übrig, als sich mit ihrem Gemahl verbrennen zu lassen, denn ohne jeglichen Status und damit aller Möglichkeiten beraubt, sich selber zu ernähren – niemand wollte auch nur in die Nähe einer Witwe kommen, da sie Unglück brachte –, waren sie Ausgestoßene der Gesellschaft. Doch diese Frau hatte sich gesträubt, den ehrenvollen Tod zu wählen. Nun bettelte sie auf den Straßen des Dorfs, denn bei ihren Töchtern, oder besser: bei deren Schwiegereltern, war sie ebenso wenig willkommen wie bei ihren bereits erwachsenen Enkeln. Diese Witwe war eine Schande für das ganze Dorf, doch die Unbarmherzigkeit ihrer Verwandten war kaum weniger schändlich. Man wollte sie nicht im Dorf sehen, zumal die Frau alle Schmähungen mit wüsten Schimpftiraden erwiderte. Aber was sollte man mit ihr tun?
»Mein Gemahl rät, die alte Savita zur Buße eine Reise an den Ganges antreten zu lassen. Jeder Mann im Dorf soll eine Rupie dafür geben, den Rest bezahlt mein Gemahl.«
»Das hat Jaysukh-sahib beschlossen? Aber das ist gegen alle überlieferten Traditionen!« Dem Alten waren vor Empörung die Halsadern geschwollen.
Amba lachte still in sich hinein. Natürlich hatte »Jaysukh-sahib« gar nichts dergleichen beschlossen, aber etwas Besseres fiel den Dörflern ja auch nicht ein. Später würde sie Nayana zu der Witwe schicken und ihr ausrichten lassen, sie möge das Geld annehmen und sich ohne großes Gezeter aus dem Staub machen, wenn ihr ihr Leben lieb war. Anschließend konnte sie an den Ganges oder sonst wohin
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