Der indigoblaue Schleier
Aufstockung bedurfte. Das Geschirr etwa war einer Familie Ribeiro Cruz einfach nicht würdig. Wenn er Gäste einladen wollte, konnte er das Essen kaum auf einem Sammelsurium nicht zueinander passender Teller servieren lassen, bei denen auch noch größtenteils die Glasur abgeplatzt war.
Frauenaufgaben, dachte Miguel, das war es, womit er sich hier herumschlagen musste. Er sollte vielleicht nach einer Braut Ausschau halten. Ach, verdrängte er den Gedanken sogleich wieder, vorerst wäre auch er allein durchaus in der Lage, seinen Haushalt zu leiten. Und den Anfang würde er mit einem schönen Porzellanservice machen.
Er stieß die Tür zu dem Geschäft auf. An der Decke war eine Schnur befestigt, an der mehrere Glöckchen hingen, die dem Ladenbesitzer seine Ankunft meldeten. Miguel hörte es im Hinterzimmer rascheln, dann kam ein Inder heraus, der ihn mit einer Verbeugung und den auf indische Weise zusammengelegten Händen begrüßte.
»Seid willkommen, Senhor. Womit kann ich Euch dienen?«
»Guten Morgen, Senhor …?«
»Senhor Rui. Alle Welt nennt mich bei meinem Vornamen.«
»Nun, Senhor Rui, dann dürft auch Ihr mich bei meinem rufen: Senhor Miguel.« Miguel war froh über die günstige Gelegenheit, nicht seinen Familiennamen nennen zu müssen – das hätte die Preise vermutlich in die Höhe getrieben. »Ich sehe, Ihr habt hier auch Geschirr …« Dabei wies er gelangweilt auf ein atemberaubendes Service, das in einer Vitrine stand.
»Als bloßes Geschirr dürft Ihr diese exquisiten Kunstwerke nicht bezeichnen, Senhor Miguel«, unterbrach der Inder ihn und riss die ohnehin schon großen Augen in gespieltem Entsetzen weit auf. »Es ist feinstes chinesisches Porzellan, mein Herr, das den weiten Weg aus Macao wie durch ein Wunder unbeschadet überstanden hat. Das komplette Service, bestehend aus je 24 flachen Tellern, tiefen Tellern, Desserttellern, Teetassen sowie Mokkatassen samt Untertassen, außerdem fünf Servierplatten, drei Terrinen, zwei Saucieren, einer Kanne, mehreren kleinen Schälchen und Kännchen. Jedes einzelne Teil ist von Künstlerhand bemalt, und das Material ist so fein, dass es das Licht durchlässt, seht nur.« Dabei hob Senhor Rui eines der hauchzarten Tässchen hoch und hielt es gegen das Sonnenlicht, das in den Verkaufsraum fiel. Miguel staunte. Er griff nach der Tasse, um sie in der Hand zu wiegen und sie erneut im Licht schimmern zu sehen. Sie war fragiler als alles, was er je an Porzellan gesehen hatte.
»Seid nur vorsichtig, Senhor Miguel, allein diese Tasse würde, verkaufte ich sie separat, was selbstverständlich nicht der Fall ist, um die 1000 Reis kosten.«
Miguel reichte dem Händler das Stück und zuckte mit den Schultern. »Nun, ich fürchte, in dieser Preisklasse kann ich mir nichts leisten.«
»Aber das ist doch nicht teuer! Ein vornehmer Herr wie Ihr, Ihr wisst den Wert der Dinge zu schätzen, das sehe ich Euch an. Und dieses Porzellan, es ist in Wahrheit unbezahlbar! Seht nur, diese feinen Pinselstriche! Der Vogel, man meint ihn direkt singen zu hören. Und die Blätter, seht Ihr sie rascheln? Die Gräser, jedes davon fein wie ein Haar, schaut nur, wie sie sich im Wind wiegen. Die Blüten, aufgetragen in kostbarsten Farben aus zermahlenen Edelsteinen, betört Euch nicht der Duft, den ihr sattes Rot zu verströmen scheint?«
»Ihr seid ein Poet, Senhor Rui. Ich jedoch suche einen Händler, der mir ein passables Porzellanservice verkauft. Wo könnte ich ein solches finden?«
Senhor Rui starrte, kurzzeitig aus der Fassung gebracht, seinen Kunden beleidigt an. Sein dürrer Körper schien vor Empörung erstarrt, seine wulstigen Lippen verzogen sich nach unten.
»Ich scheine Euch falsch eingeschätzt zu haben. Was Ihr sucht, findet Ihr an der Straße, die westwärts aus der Stadt hinausführt, den Fluss entlang.«
Miguel konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Dort waren die Stände, an denen er vorhin noch vorbeigeritten war und die grobes Steinzeug anboten.
»Ich danke Euch für diese Auskunft. Ich werde mich später dort umsehen. Aber lasst mich noch eine Weile Eure andere Ware betrachten, es sind ein paar sehr hübsche Dinge dabei.« Miguels Blick war auf ein Samtkissen gefallen, auf dem ein hellblau schillernder Stein lag. »Dieser Aquamarin hier zum Beispiel …«
»Lieber Herr Jesus Christus«, rief Senhor Rui aus, »schenke mir Geduld mit diesem jungen Mann, dessen Unwissenheit zweifellos auf seine Jugend zurückzuführen ist!« Er blickte Miguel an und
Weitere Kostenlose Bücher