Der indigoblaue Schleier
hinwegzutäuschen.
»Gewiss, das wird es.« Amba drehte sich zu Rupesh herum und musterte ihn eingehend. So lästig der Schleier sein konnte, etwa bei einer derartig starken Hitze, so nützlich war er auch. Er hielt nicht nur aufdringliche Blicke fern, sondern erlaubte ihr, nach Herzenslaune selbst den Blick schweifen zu lassen, ohne dass irgendjemand hätte sehen können, was genau sie sich ansah.
Rupesh mit seinem zu langen Hals und den zu kurzen Beinen wirkte heute so, als läge ihm etwas auf dem Herzen. Er ließ die Schultern hängen und stierte auf den glänzenden, festgestampften Lehmboden vor seinen Füßen.
»Ich werde«, sagte Amba, um Rupeshs Zunge zu lösen, »meinem Gemahl berichten, wie sorgfältig du dich um alles kümmerst. Bestimmt wird er dir einen Bonus auszahlen.«
»Oh, Ambadevi, das ist doch nicht nötig. Ich tue nur meine Arbeit, weiter nichts.«
Amba wusste, wie diese falsche Bescheidenheit zu deuten war. »Und wenn der Ertrag in diesem Jahr bei mehr als einem
lakh
Platten liegt, dann wird er dir wahrscheinlich jeden Wunsch erfüllen, den du äußerst.«
»Das wäre … das wäre ganz, ähm …«
»Sprich, Rupesh. Du weißt, dass ich im Auftrag meines Gemahls handle. Was ist es, was du dir erhoffst?«
Rupesh druckste herum, schaute weiter zu Boden und rieb sich nervös die Hände. »Ich würde das lieber direkt mit Eurem Gemahl besprechen«, brach es schließlich aus ihm hervor.
Amba verdrehte die Augen. Nicht schon wieder! Was hatten diese Leute nur alle, dass sie die wichtigen Entscheidungen lieber einem Mann überließen – in diesem Fall einem Mann, den Rupesh gar nicht persönlich kannte? Seit drei Jahren war immer nur Amba auf der Plantage erschienen, seit drei Jahren hatte Rupesh nur mit ihr zu tun gehabt. Mit Erfolg. Die Plantage wuchs und gedieh, der Ertrag war hoch, die Leute schienen zufrieden. Was war es, das ein Mann besser hätte regeln können als sie?
»Nun, wie du weißt, ist mein Gemahl nicht bei guter Gesundheit. Ich vertrete ihn – in allen Angelegenheiten.«
»Aber Ambadevi, es gibt Dinge, die muss man einfach von Mann zu Mann besprechen.«
»Das mag sein. Aber für diese Art von Themen ist mein Gatte überhaupt nicht aufgeschlossen. Ich versichere dir, dass ihn deine persönlichen Angelegenheiten nicht im Geringsten interessieren, ja, wahrscheinlich wäre er sogar verärgert, wenn du ihn damit behelligen würdest. Aber wenn du meinst, dann kannst du ihm dein Anliegen ja schriftlich vorbringen.«
»Ich … also es ist so, dass meine Frau, Ihr wisst schon, Anita, nun endlich einen Jungen zur Welt gebracht hat. Nach fünf Mädchen freuen wir uns über die Gnade der Götter so sehr, dass wir Jaysukh-sahib gern darum bitten würden, die Patenschaft für den Jungen zu übernehmen.«
»Oh. Meine Glückwünsche, Rupesh, auch an deine Gemahlin. Es freut mich sehr für euch. Allerdings befürchte ich, dass der Gesundheitszustand meines Gemahls die lange Reise hierher nicht zulässt. Aber ich bin sicher, es wäre ihm eine große Ehre, wenn ihr den Jungen nach ihm benennt. Natürlich könnte ich statt seiner bei der Zeremonie anwesend sein …«
»Ja, Ambadevi, ich weiß, und ich danke Euch für dieses Angebot. Aber Ihr wisst ja, wie es ist …«
Das wusste sie. Die Landbevölkerung glaubte, es brächte Unglück, wenn eine Frau bei zeremoniellen Riten den Platz eines Mannes einnahm.
»Ich denke, die Patenschaft kommt auch zustande, wenn mein Gemahl dir eine Urkunde darüber ausstellt, nicht wahr? Dann wird es das Beste sein, wenn wir es so machen. Obwohl ich ihn natürlich gerne zu überzeugen versuche, doch einmal mit hierherzukommen. Auch mir behagt es nicht, immerzu ohne ihn zu reisen und mich um all diese Dinge zu kümmern, von denen er viel mehr versteht als ich. Wäre es nicht wunderbar, er käme beim nächsten Mal mit hierher? Du und die Arbeiter, ihr könntet ihn endlich einmal persönlich kennenlernen, könntet ihm eure Sorgen und Wünsche selber vortragen und nicht nur von mir übermitteln lassen. Ach, Rupesh, du glaubst nicht, wie wohl mir bei dieser Vorstellung ist! Er ist ein sehr kluger Mann, ein Weiser. Natürlich ist er in seinem Alter auch zuweilen etwas … ach, lassen wir das.«
Rupesh war bei ihren Worten in sich zusammengesunken. So gern er damit geprahlt hätte, dass der
zamindar,
der Grundbesitzer, Pate seines Sohnes wurde, so unwohl war ihm auch bei der Vorstellung, sich gegenüber einem störrischen Alten verantworten zu müssen.
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