Der indigoblaue Schleier
senkte die Stimme. »Das, mein werter Senhor Miguel, ist ein blauer Diamant von«, hier schluckte er, um die Spannung noch etwas zu steigern, »sage und schreibe 60 Karat.«
»Er ist wundervoll«, flüsterte Miguel, »und der Schliff ist ganz besonders ausgefallen.« Er dachte dabei unentwegt an einen blauen Schleier und einen zarten hellbraunen Hals, auf dem dieses Prunkstück viel leuchtender funkeln würde als auf einem Samtkissen.
»Im übrigen Indien glaubt man, es bringe Unglück, einen Diamanten zu schleifen. Dieser hier, mit seinem sogenannten Rosenschliff, ist daher eine große Rarität. Ich fürchte jedoch, sein Wert übersteigt den des Porzellans noch um ein Vielfaches.«
»Ach?« Miguel nickte dem Händler aufmunternd zu.
Der beugte sich daraufhin näher zu Miguel und flüsterte ihm den gewünschten Betrag ins Ohr.
»Ihr beliebt zu scherzen?«
»Keineswegs, Senhor Miguel, keineswegs. Ich selber habe zehn
lakh
dafür zahlen müssen, und ich musste viele Reisen und zahlreiche Mühen auf mich nehmen, um diesen Stein zu ergattern. Ich kann ihn einfach nicht für weniger als 15
lakh
verkaufen, sonst lege ich noch Geld drauf.«
Ein
lakh
bezeichnete die Summe von 100 000 – in diesem Fall Reis – oder 100 Milreis. Der gute Mann verlangte nicht weniger als 1500 Milreis, was ungefähr dem Wert des Solar das Mangueiras entsprach.
»Und Ihr stellt ihn einfach so hier aus? Habt Ihr keine Angst vor Dieben?«
»Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Ich habe ihn erst seit heute Morgen. Ich werde natürlich eine Kopie anfertigen lassen und den Stein an einem sicheren Ort hinterlegen. Bis dahin muss dies hier genügen.« Er zückte einen Krummsäbel, dessen Scheide über und über mit Rubinen, Smaragden und Saphiren bedeckt war. »Die meisten Menschen interessieren sich nur für das Äußere, das Blendwerk. Dabei ist der Säbel selber um ein Vielfaches kostbarer als sein Behältnis. Er wurde aus gefaltetem …«
Miguel unterbrach den Redeschwall des Juweliers. »Ich glaube Euch, Senhor. Aber der Säbel interessiert mich nicht. Bleiben wir doch einen Augenblick bei dem Diamanten.«
Rui alias Rujul zuckte angesichts dieser fortgesetzten Unhöflichkeiten innerlich zusammen. Wusste dieser junge Kerl denn gar nichts über die Gepflogenheiten im Handel? Bunt ausgeschmückte Geschichten gehörten ebenso dazu wie raffiniertes Feilschen, bei dem sich später, bei Abschluss des Geschäfts, Käufer wie Verkäufer wohl fühlten und sich dem Glauben hingeben konnten, den anderen schön hereingelegt zu haben. Ah, diese Europäer. Brachte man ihnen denn gar nichts Sinnvolles bei?
»Mich würde interessieren, lieber Senhor Rui, warum Ihr ausgerechnet mir, einem Wildfremden, diesen kostbaren Stein zeigt. Wie könnt Ihr wissen, dass ich vertrauenswürdig bin?«
Senhor Rui hatte seine liebe Not, seine Überraschung zu verbergen. Glaubte der junge Mann etwa, er könne inkognito einkaufen gehen? Ah, aber hier lag seine, Rujuls, beste Chance. Wenn er seinem Kunden das Gefühl gäbe, er kenne seine Identität nicht, dann wiegte sich der liebe Senhor Miguel Ribeiro Cruz vielleicht in dem trügerischen Glauben, ein günstiges Schnäppchen machen zu können. »Das sehe ich Euch an. Ihr seid vom Scheitel bis zur Sohle ein Edelmann.«
Miguel verneigte sich leicht, als sei er ein hoher Würdenträger, der solche Schmeicheleien gewohnt war. »Kommen wir zurück auf den Diamanten. Ich wäre bereit, fünf
lakh
dafür auszugeben, was natürlich ein völlig überhöhter Preis ist, wenn Ihr mir das Porzellanservice als Geste Eures guten Willens und als Besiegelung unserer neuen Geschäftsbeziehung dazugeben würdet.«
»Fünf
lakh
für beides zusammen? Das geht nicht! Ihr treibt mich in den Ruin! Wer soll meine armen Kinder ernähren? Was geschieht dann mit meiner lieben Frau?« Senhor Ruis fleischige Unterlippe bebte, seine beinahe schwarzen Kulleraugen verdrehte er gen Himmel, und zwar so weit, dass fast nur noch das Weiße des Augapfels zu sehen war. Die Darbietung war grandios, fand Miguel. Doch er ließ sich keine Sekunde davon täuschen. Er hatte sich zuvor über den Laden und seinen Inhaber erkundigt, der für die einwandfreie Qualität seiner Ware ebenso berühmt war wie für seine überzogenen Preise. Er wusste, dass ein Drittel bis maximal die Hälfte des geforderten Preises angemessen wäre.
»Aber ich will Euch Eure Unerfahrenheit verzeihen. Ich werde Euch einen Nachlass von zehn Prozent geben. Ihr seid mein erster Kunde
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