Der indigoblaue Schleier
Essen in sich hinein, als wären sie am Verhungern. Darüber hinaus interessierten sie sich für nichts außer einander. Die Tochter, Isaura, beobachtete die Runde aus den Augenwinkeln, was ihr einen irgendwie verschlagenen Ausdruck verlieh. Auffallend oft blieb ihr Blick an Álvaro hängen, der sich dessen gar nicht bewusst zu sein schien.
Denn ihm wie auch den anderen beiden Mendonça-Sprösslingen schmeckte es so gut, dass sie nicht von ihren Tellern aufblickten und kaum ein Wort sagten, entgegen ihrer sonstigen Gewohnheit, pausenlos ihre Umwelt mit ihrem Gerede zu brüskieren. Die ersten beiden Gänge verliefen daher so ruhig, dass das Geklapper des Bestecks auf den Tellern unangenehm laut erschien. Man hörte einen Diener mit den Füßen scharren und einen anderen, wie er beim Abräumen ein Messer fallen ließ. Man hörte die Schluckgeräusche von Senhor Nunes, der den portugiesischen Wein in großen Zügen trank, und man vernahm das zwanghafte Räuspern des Capitão, bei dem man jedes Mal erwartete, er bereite sich auf eine Ansprache vor.
Das tat er nicht, dafür erhob sich Dona Assunção vor dem Auftragen des Desserts und bat durch Klopfen an ihr Weinglas unnötigerweise um Ruhe. Sie hatte auch so die ungeteilte Aufmerksamkeit aller.
»Euch allen möchte ich zunächst danken, dass Ihr mein Haus heute Abend mit Eurer Anwesenheit beehrt. Ich habe lange darüber nachgedacht, wen ich zu diesem Euch noch unbekannten Anlass einladen sollte. Da ich den Kreis klein halten, zugleich aber nicht in allzu intimer Runde verkünden wollte, was ich gleich verkünde – denn meine Kinder sind bereits eingeweiht und heißen meine Pläne gut – fiel meine Wahl auf Euch. Auf Euch, Capitão und Dona Filomena, weil unsere Freundschaft seit Jahrzehnten währt und ich Euch als die liebenswürdigsten Menschen kennengelernt habe, die es in Goa gibt. Dasselbe gilt natürlich auch für Eure wohlgeratenen Kinder. Auf Euch, Senhor Nunes, weil Ihr mit Eurer bezaubernden Gattin und Eurer liebreizenden Tochter eine Bereicherung jeder Gesellschaft darstellt. Und auf Euch, Senhor Miguel, weil Ihr schon nach der kurzen Zeit, die Ihr in der Kolonie weilt, eine so herzliche Beziehung zu meinen Kindern unterhaltet, wie ich sie mir nicht freundschaftlicher vorstellen könnte.«
Miguel fragte sich, ob es nicht in Wahrheit ganz andere Gründe waren, die Dona Assunção dazu veranlasst hatte, gerade sie einzuladen. Er war, wie sie ganz richtig gesagt hatte, noch nicht lange in Goa und nicht unbedingt das, was man einen Vertrauten der Familie nennen würde.
»Nun, ich habe Euch hierhergebeten, um mit mir gemeinsam den Beginn eines neuen Lebensabschnitts zu feiern.«
Um Gottes willen, dachte Miguel, hatte Dona Assunção etwa Geburtstag? Er hatte außer etwas Konfekt kein Geschenk mitgebracht.
»In Kürze werde ich Goa verlassen.«
Ein Raunen kam aus der Ecke, in der die Familie Nunes saß.
»Ich werde nach Lissabon ziehen, denn dort erwartet mich mein … Verlobter.«
Ah und oh war zu vernehmen, der Capitão verschluckte sich beinahe an seinem Wein. Seine Frau sowie Dona Isabel machten große Augen, die junge Maria war puterrot angelaufen. Die beiden Halbwüchsigen schauten desinteressiert drein, aber ihre Schwester Isaura hob den Kopf und setzte eine lauernde Miene auf, als könne sie kaum erwarten, was Dona Assunção weiter zu sagen hatte. Einzig Senhor Nunes behielt die Fassung. »Herzlichen Glückwunsch!«, rief er und hob das Glas. »Auf Euer Wohl!« Miguel folgte der Aufforderung, genau wie die Kinder Mendonça. Die anderen Gäste taten es ihnen schließlich zögerlich nach.
»Die Überraschung ist Euch gelungen«, sagte der Capitão, und seine Frau, Dona Filomena, fragte entgeistert: »Warum habt Ihr vorher nichts gesagt? Wir hätten Euch gerne ein Geschenk mitgebracht.«
Die naheliegendste Frage stellte, nachdem die erste Welle der Aufregung abgeklungen war, die schüchterne Maria. Es war das erste Mal an diesem Abend, dass sie überhaupt etwas sagte. »Wer, ähm, also, wer ist denn der Glückliche?«, stammelte sie. In der nachfolgenden Stille starb sie tausend Tode, weil sie glaubte, ihre Gesichtsröte würde allen auffallen. Dabei hatten alle den Blick Dona Assunção zugewandt.
»Der Herr heißt Fernão Magalhães da Costa. Er ist, genau wie ich, verwitwet. Er ist ein namhafter Kaufmann, dessen Geschäfte es zurzeit leider nicht zulassen, dass er mich in der Kolonie abholt. Aber wir stehen in regem Briefkontakt, und ich
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