Der indigoblaue Schleier
ihnen riesige Ländereien in Portugal wie auch in Goa hinterlassen hatte. Trotz ihres Reichtums schien ihnen Standesdünkel fremd zu sein, und ihre ungezwungene Art der Konversation führte Miguel darauf zurück, dass die Kinder alle schon in Goa geboren waren. Sie waren ganz anders als junge Leute, die, wie er selber, in Portugal aufgewachsen waren. Über bestimmte Themen unterhielten sie sich mit einer Freizügigkeit, die selbst ihm, der in der Heimat gern und oft Tabus gebrochen hatte, die Schamesröte ins Gesicht treiben konnte.
So hatte doch tatsächlich die junge Delfina bei ihrer ersten Begegnung mit Miguel munter über die vielseitige Verwendung von Kuhfladen in Indien geplappert, und Sidónio hatte ihn in Hörweite der Damen darüber aufgeklärt, welche verruchten Häuser für einen Herrn wie ihn in Frage kamen und welche nicht. Álvaro indes hatte ihm angeboten, ihn einmal zu den Tempelanlagen jenseits der Grenzen der Kolonie zu begleiten, wo man sich an erotischen Darstellungen erfreuen konnte, die in Portugal nicht einmal gedacht werden durften, ohne dass man sich dem Risiko der inquisitorischen Verfolgung aussetzte.
Dona Assunção war nicht weniger offenherzig gewesen. Sie hatte Miguel kurz beiseitegenommen und ihm in knappen, klaren Worten zusammengefasst, welchen höheren Töchtern er den Hof machen konnte und welchen nicht. Sie hatte ihm die äußeren Vorzüge der jungen Damen aufs Genaueste geschildert, und sie war über die Vermögensverhältnisse der Eltern ebenso gut informiert wie über Erbkrankheiten und ähnliche Übel, die in der Familie lagen. Über ihre eigene Tochter verlor sie allerdings kein Wort.
Als er die Einladung zum Diner im Haus dieser Familie erhielt, hatte er keinen Augenblick gezögert, diese anzunehmen. Es würde ein vergnüglicher Abend werden. Außer ihm waren acht weitere Personen eingeladen, so dass sie dreizehn wären. Fünf der anderen Gäste kannte Miguel noch nicht, doch die anderen drei, die Eheleute Nunes mit ihrer Tochter Maria, hatte er ebenfalls als angenehme Zeitgenossen kennengelernt.
Miguel nahm sich mehr Zeit als üblich für seine Toilette, und er überlegte lange, was er anziehen sollte. Nachdem er eine halbe Ewigkeit vor dem Kleiderschrank herumgetrödelt hatte, schalt er sich einen Dummkopf. Was war nur in ihn gefahren? Er war noch nie besonders eitel gewesen, wofür jetzt plötzlich diese übertriebene Sorgfalt? Wen wollte er beeindrucken? Die attraktive Witwe Mendonça? Ihre amüsante Tochter Delfina? Oder die ebenso schüchterne wie hübsche Maria? Und tappte er nicht geradewegs in die Falle, die Dona Assunção ihm stellte?
Nein, Unsinn! Wenn sie in ihm einen geeigneten Bräutigam für Delfina sah, würde sie gewiss keine so viel ansehnlichere Konkurrentin einladen. Er dachte schlicht zu viel nach. Er hätte niemals zu diesem Astrologen gehen sollen, der ihm für den heutigen Abend eine schicksalhafte Begegnung prophezeit hatte. Wahrscheinlich hegte überhaupt niemand irgendwelche Hintergedanken, genauso wenig wie es irgendwen interessierte, ob er nun grüne oder blaue Strümpfe trug.
Er entschied sich für die grünen Strümpfe. Dazu trug er eine nur wenig verzierte dunkle Hose, ein dünnes Hemd aus Baumwollbatist und ein grünlich schimmerndes Damastwams. Einzig die Spitzenbesätze an der Hose sowie der Spitzenkragen verliehen seiner Garderobe Eleganz. Ja, so würde es gehen. Nicht zu geckenhaft, nicht gar zu schlicht. Sein schulterlanges Haar hatte er zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Es lag, schwarz und vom Öl glänzend wie das der Inder, an seinem Kopf an. Er war glatt rasiert, weil er dem Barbier, den er tags zuvor aufgesucht hatte, nicht hatte klarmachen können, dass er seinen Musketier-Bart nur gerne zurechtgestutzt gehabt hätte. Und nachdem der erste Streich mit dem Rasiermesser eine unschöne Lücke in das Bärtchen gezogen hatte, war ihm nichts anderes übrig geblieben, als den Rest auch zu opfern. Miguel fuhr sich mit der Hand über die Mundpartie. Es fühlte sich noch immer ungewohnt an. Er war außergewöhnlich sensibel an jenen Hautstellen, die zuvor von Barthaar bedeckt gewesen waren.
Die Mendonças lebten auf einem Anwesen, das ebenfalls westlich außerhalb der Stadtgrenzen lag und bei den derzeitigen Witterungsverhältnissen für Miguel schnell und leicht zu erreichen war. Die Kutsche brauchte keine halbe Stunde, bis sie am Ziel ankam. Das Haus war schon von weitem zu sehen, weil man alle Räume beleuchtet hatte.
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