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Der Insulaner

Der Insulaner

Titel: Der Insulaner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Maddox Roberts
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einen Teil der Beute, und der Rest wird unter den Ältesten aufgeteilt. Verstehst du, was ich sagen will? Es gibst bedeutend weniger ältere Krieger als junge, und noch viel geringer ist die Zahl der Ältesten. Die meisten unserer Bräuche, besonders jene, bei denen es um die Krieger geht, sorgen dafür, dass ihr jungen Heißsporne das Dorfleben nicht stört, nicht in Schwierigkeiten geratet und keinen Wohlstand erringt. Hab und Gut und alle schönen Frauen fallen den Ältesten zu, die auch die Macht über den Stamm in Händen halten.«
    »So habe ich es noch nie betrachtet«, antwortete Hael ernsthaft. »Ich glaubte, wir leben so, weil es – nun, weil es so richtig ist. Weil wir Shasinn sind und dies alles zum Besten der Shasinn ist.«
    Tata Mal zog seine Weissagungsknochen aus der Tasche und warf sie auf den Boden. Dann sammelte er sie wieder ein und warf sie erneut. Mit dem Ergebnis offensichtlich zufrieden, klaubte er die Knochen schließlich zusammen und verstaute sie sorgfältig wieder in dem Beutel, der an seinem Gürtel baumelte.
    »Unsere Gesetze haben einen Sinn«, erklärte er. »Menschen brauchen Regeln und Gebote, sonst ist ein Zusammenleben unmöglich. Unsere Bräuche sind uns dienlich, würden aber weder den Bauern noch den Jägern oder Fischern nützen, und niemand weiß, nach welchen Gesetzen sich die Menschen jenseits des Meeres richten. Die Sitten der Shasinn haben uns Unabhängigkeit und Wohlstand beschert. Und vieles spricht dafür, junge Männer, die gerade im schlimmsten Alter sind, zum Wohle der Allgemeinheit arbeiten zu lassen.«
    Hael schwieg, da er spürte, dass der Alte noch mehr zu sagen hatte. Er sah wieder zu den Gabelhörnern hinüber, die ihre Mahlzeit beendet hatten und nun nach Westen zogen. In der Ferne entdeckte er eine Gruppe Mordvögel, die ein kleineres Tier jagte. Ihre Flügel waren nur winzige Stümpfe, aber mit den breiten, klauenbewehrten Füßen konnten sie sich beinahe ebenso flink voranbewegen wie die langbeinigen Gabelhörner. Die langen krummen Schnäbel vermochten einer Beute das Fleisch von den Knochen zu reißen, als handele es sich um die Krallen einer Raubkatze.
    »Du darfst nie vergessen«, fuhr Tata Mal fort, »dass die Menschheit nicht nur Wert auf Ruhm und Freundschaft legt. Es verlangt uns nach Wohlstand, Frauen, Ansehen und Macht, und wir tun alles, um dem Ziel unserer Wünsche nahe zu kommen. Ein älterer Junge – wie zum Beispiel Gasam – legt mehr Wert auf diese Dinge als ein Bursche deines Alters. Gasam bereitet sich schon jetzt auf den Tag vor, an dem er zu den älteren Kriegern gehören wird. Er wird eine Möglichkeit finden, sich bei den Ältesten einzuschmeicheln, auch wenn er nicht bei uns im Dorf lebt. Vielleicht wird er dich bei ihnen in Verruf bringen. Pass gut auf dich auf, und denke daran, dass der ungeschützte Rücken des mächtigsten Kriegers ebenso verwundbar ist wie der eines gewöhnlichen Mannes.«
    »Sagen dir die Geister das alles?« fragte Hael.
    »Nein, die Geister beschäftigen sich mit der Natur. Man kann sie um Rat bitten, wenn es um die Fruchtbarkeit der Pflanzen und Tiere geht, um die Jagd auf wilde Tiere, um Regen und Sturm und sogar um Feuer. Aber die Menschen sind ihnen gleichgültig. Ich bin alt und habe mein Leben lang die Menschheit beobachtet. Daher weiß ich, was in den Herzen der Leute vor sich geht, selbst wenn sie selbst es nicht wissen. Als Geisterbeschwörer stehe ich außerhalb der Familien. Ich darf kein Krieger werden, kein Land besitzen und nur die Dinge um mich scharen, die zu meinem Handwerk gehören. Ein Geisterbeschwörer darf nur einmal heiraten und nicht mit mehreren Frauen leben. Meine Gemahlin starb vor vielen Jahren. Ich werde niemals zum Anführer oder zum Mitglied des Rates gewählt, sondern darf nur meine Ansichten kundtun. Deshalb strebe ich auch nicht nach all diesen Dingen. Und aus diesem Grund ist es einem Geisterbeschwörer möglich, seine Mitmenschen unvoreingenommen zu beurteilen.«
    Hael erhob sich, da der Alte anscheinend alles gesagt hatte. »Ich danke dir für deinen Rat. Du hast mir sehr viel erzählt, was meine Gedanken in der nächsten Zeit beschäftigen wird.«
    Tata Mal grinste. »Nun gut. Jetzt habe ich dir den schönen Tag verdorben. Sei nicht traurig, Hael. Genieße deine Jugend, aber vergiss nie, dass die Welt ein Ort voller Gefahren ist, an dem wilde Tiere und feindliche Stämme die unbedeutendsten Gegner sein können.«
    »Ich werde daran denken«, versprach Hael. »Ich danke

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