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Der Insulaner

Der Insulaner

Titel: Der Insulaner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Maddox Roberts
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gegen die Asasa kämpften!« rief einer der Männer, dessen zahlreiche Narben ihn als erprobten Kriegsveteran auswiesen. Die Asasa waren ein Hirtenvolk, das im Süden der Insel lebte. Ihre Sitten und Gebräuche unterschieden sich sehr von denen der Shasinn, wenngleich alle Inselbewohner in etwa die gleiche Sprache redeten. Der junge Krieger schlich mit von Scham gerötetem Gesicht davon. Das Erdulden von Spott und Hohn galt als Teil der Bürde, die die Heranwachsenden zu tragen hatten, bis sie sich in der Schlacht beweisen konnten – oder starben.
    »Hael wird uns zeigen, wie man einen Speer werfen sollte!«
    Hael hob den Kopf, um den Sprecher anzusehen, obwohl er Gasam bereits an der Stimme erkannt hatte. Sein Stiefbruder stand lässig inmitten der älteren Krieger, als gehöre er bereits zu ihnen. Jetzt, da ihn Tata Mal vor Gasams Absichten gewarnt hatte, war Hael neugierig, wie sein Widersacher vorgehen würde.
    »Zeig es diesen tapferen Männern, Hael!« drängte ihn Gasam. »Sonst denken sie am Ende, die Nachtkatzen seien schlechte Krieger.« Lächelnd wandte er sich den Erwachsenen zu. »Jetzt werdet ihr staunen. Hael wird sich das am weitesten entfernte Ziel aussuchen und treffen.«
    »Ja, los, Hael! Zeig’s uns!« rief ein Mann, dessen Zöpfe ihm bis auf die Brust hingen, mit trunkener Stimme.
    Wortlos trat Hael an das Gestell, in dem die Wurfspeere standen. Gasam war äußerst klug vorgegangen. Er hätte Hael nicht zum Ringkampf oder zum Zweikampf mit Schild und Kriegerspeer herausgefordert, denn der jüngere beherrschte diese Übungen meisterhaft. Seine einzige Schwäche lag im Speerweitwurf. Da sich Hael noch im Wachstum befand und sein Körper sich allmonatlich kaum merklich veränderte, fiel es ihm ausgesprochen schwer, die Genauigkeit zu erzielen, auf die es bei dieser Übung ankam.
    Er stieß seinen Kriegerspeer in den Boden und wählte einen Wurfspeer aus. Dann stellte er den abgerundeten Griff auf einen flachen Stein und drehte ihn zwischen den Handflächen hin und her, um zu prüfen, ob der Schaft gerade war. Die Waffe schwankte leicht, und darum wählte er eine andere aus. Dieser Speer erwies sich als gerade, aber die Spitze saß ein wenig zu locker. Die nächste Waffe stellte er zurück, weil die Bronzespitze verbogen war. Endlich fand er einen geeigneten Speer und trat vor. Das spöttische Geplauder war inzwischen verstummt, denn jeder ahnte, dass es sich hier um eine ernsthafte Herausforderung handelte, obwohl Gasam sich Mühe gegeben hatte, sie nicht offen auszusprechen.
    Das am schwierigsten zu treffende Ziel stand fünfzig Schritt weit entfernt. Der Pfeil eines Jägers würde es mit Leichtigkeit erreichen, aber für einen Speerwurf schien die Entfernung gewaltig. Es gab Stämme, die diese Kunst pflegten und beherrschten, aber die Shasinn wandten den Wurfspeer nur an, wenn sie sicher waren, einen tödlichen Treffer landen zu können.
    Hael hob eine Handvoll Sand auf und schleuderte sie in die Höhe, um die Stärke und Richtung des Windes zu berechnen. Außerdem beobachtete er das sich sanft wiegende Gras in der Nähe des Zielkorbes, denn der Wind war launisch und wechselhaft und konnte sich selbst innerhalb der fünfzig Schritt gedreht haben. Schließlich wandte sich der Junge ab und trottete zwanzig Schritt zurück. Dann blieb er stehen, drehte sich um und hob den Wurfspeer in Schulterhöhe.
    Der erste Schritt war schon fast ein Sprung. Der nächste war kürzer, aber schneller, und das Tempo steigerte sich mit jedem weiteren Schritt. Die Speerhand streckte sich immer weiter nach hinten, und nun tat der Junge einen kleinen Hüpfer. Als der linke Fuß den Boden berührte, schnellte der Arm vor; die Muskeln der Schulter, der Brust und der Hüfte arbeiteten in vollkommenem Einklang. Der Speer glitt über die Handfläche und zwischen den Fingern hindurch, und Haels Handgelenk vollführte eine leichte Drehung, die der Waffe den rechten Weg wies. Er lief noch ein Stück weiter, als der Speer sich bereits in der Luft befand, ehe er endlich heftig atmend zum Stehen kam.
    Der Wurfspeer schnellte davon; die Sonne spiegelte sich funkelnd auf der Bronzespitze. Auf halbem Wege senkte sie sich allmählich und eilte dem Ziel entgegen. Alle hielten den Atem an, als die Waffe die letzten zwanzig Schritt zurücklegte. Die Bronzespitze traf den Zielkorb genau in der Mitte; in gleicher Höhe, in der sich das Herz eines Mannes befinden mochte und in einem solchen Winkel, dass sich ein Feind nur hätte schützen

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