Der Insulaner
dir für deine Worte.«
Er wandte sich um und eilte davon.
Tata Mal sah ihm nach und war erleichtert, dass er den Jungen hatte warnen können. Dennoch wollte ihn ein ungutes Gefühl nicht verlassen. Er hatte nicht ganz die Wahrheit gesagt, als er Hael gegenüber behauptete, den Geistern sei die Menschheit gleichgültig. Das stimmte nur zum Teil. Tata Mal war sicher, dass sich die Geister um Hael kümmerten, aber darüber durfte er mit niemandem sprechen, der nicht zum Kreis der Geisterbeschwörer gehörte. Wieder zog er die Knochen der Weissagung aus der Tasche und warf sie auf den Boden.
Hael lief mit langen Schritten durch das kniehohe Gras. Die Worte des Alten hatten ihn beunruhigt. Das Leben eines jungen Kriegers schien doch schwieriger zu sein, als er geglaubt hatte. Aber heute war ein wunderschöner Tag. Das Gras wuchs üppig, und er hatte mit Larissa gesprochen, auch wenn das Ergebnis nicht unbedingt als Erfolg bezeichnet werden konnte. Plötzlich bemerkte er eine Bewegung im Gras und hob den Speer. Vielleicht lauerte dort eine Graskatze. Diese Raubtiere waren nicht besonders groß, konnten aber einen unvorbereiteten Mann mit Leichtigkeit töten. Die Fähigkeit der Graskatze, sich bis zum Angriff fast unsichtbar anzuschleichen, hatte schon etwas Magisches an sich. Zu dieser Jahreszeit war ihr Fell grün und deckte sich mit der Farbe des frischen Grases. Im Herbst passte sie sich der Umgebung an und trug einen gelblich-braunen Pelz.
Hael entspannte sich ein wenig, als er ein großes, hässliches Tier bemerkte. Es handelte sich um ein Toonoo, einen wilden Vetter des Quils. Statt des fetten Körpers der zahmen Verwandten bestand das Toonoo nur aus Muskeln. Auch besaß es bedeutend mehr Intelligenz. Zu beiden Seiten der Nase ragten zwei lange, gebogene Hauer hervor. Das Toonoo konnte ein gefährlicher Gegner sein, griff aber nur an, wenn es sich bedroht fühlte. Trotzdem ließ Hael es nicht aus den Augen, da er das Tier keineswegs durch eine unbedachte Bewegung erzürnen wollte. Manchmal hockten die jungen Toonoos reglos im Gras, während die Mutter nach Nahrung suchte. Aber dieses Tier starrte ihn nur einen Augenblick lang aus den winzigen, tief in den Höhlen liegenden Augen an, schüttelte unwillig den Kopf und trabte laut schnaubend davon. Hael setzte seinen Weg fort.
KAPITEL ZWEI
D ie Zeit des Festes war gekommen, und die Männer mussten das Dorf für einen Tag und eine Nacht verlassen. Laut schimpfend, um den Schein zu wahren und ihre Vorfreude auf die Festlichkeiten zu verbergen, zogen sie, mit Vorräten und Ghul bepackt, zu den Lagern der Krieger. Hinter ihnen verkündeten die Trommeln und Flöten, dass die Riten der Frauen begonnen hatten.
In den Lagern ruhten sich die jungen Krieger aus, um für die vor ihnen liegenden, arbeitsreichen Wochen gestählt zu sein. Sie vertrieben sich die Zeit mit Ringkämpfen und Speerwerfen, Stabkampf und Tänzen. Auch lauschten sie den älteren Männern, die sich fortwährend beklagten, wie ereignislos und beschwerlich ihr Leben sei. Die Krüge mit Ghul, dessen Genuss den jungen Kriegern nicht gestattet war, gingen von Hand zu Hand. Jedoch wurde dieses Verbot großzügig und mit einem Augenzwinkern umgangen, so lange die jungen Burschen sich nicht unmäßig betranken. Ghul wurde aus zerstampften Früchten gewonnen, die – mit Honig und Wasser verrührt – in riesigen Krügen mehrere Monate gären mussten. Dann siebte man die Flüssigkeit heraus und füllte sie in kleinere Behälter, in denen sie länger als ein Jahr genießbar blieb. Diese Aufgabe oblag den Frauen, die sich mit Hilfe bestimmter Sprüche und Gesänge an die Zubereitung machten. Die Geister liebten Ghul, machten ihn aber sauer und ungenießbar, wenn sie erst einmal in die Gefäße eingedrungen waren.
Die älteren Krieger gaben sich überheblich und prahlten damit, die gefährliche Jugendzeit überlebt zu haben. Obwohl sie nicht länger auf Raubzüge ausgingen, bildeten sie in Kriegszeiten das Rückgrat der Verteidigung des Dorfes. Bei diesen Kämpfen bezeichnete man die jungen Krieger, die Angriffe und Vorstöße ausführten, als ›Speer‹, während die Reihen der Verteidiger, die immer zwischen dem Feind und dem Dorf Aufstellung nahmen, ›Schild‹ genannt wurden. Handelte es sich um eine größere Schlacht, in die mehrere Dörfer verwickelt waren, was jedoch nur ein oder zweimal in jeder Generation vorkam, hielten sich alle erwachsenen Männer in der Mitte des Kampfplatzes auf,
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