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Der italienische Geliebte (German Edition)

Der italienische Geliebte (German Edition)

Titel: Der italienische Geliebte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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    Nicht lange nach Italiens Kriegseintritt bestellte Olivia den Maurer und den Zimmermann, um im Keller und auf dem Dachboden Verstecke für Lebensmittel und Wertsachen schaffen zu lassen. Sie reiste mehrmals nach Florenz und versuchte, ihren Einfluss geltend zu machen, um eine Anordnung zur Beschlagnahme von Ernteerträgen zu ändern oder die Einberufung eines Sohnes oder Ehemanns aus den Bauernfamilien zu verhindern. Sie schrieb täglich an Sandro, der an der dalmatinischen Küste stationiert war, und an Guido in Nordafrika.  
    In einem Haus in der Nähe der fattoria hatte Olivia Zanetti eine Schule für die Kinder des Guts eingerichtet und in einem Nachbargebäude eine Krankenstation mit vier Betten. Gleich nach ihrer Ankunft im Herrenhaus hatte Olivia mit Tessa gesprochen. Ob es ihr gut gehe und wie Frederica zurechtkomme. Dann war sie zum Geschäftlichen übergegangen und hatte gefragt, welche Art Arbeit Tessa am liebsten übernehmen würde. Sie könne beispielsweise in der Krankenstation oder in der Schule helfen. Tessa entschied sich für die Schule. Die Krankenstation war Faustinas Domäne, und sie wollte keinesfalls jemandem auf die Zehen treten.  
    Tessas Zimmer im zweiten Stockwerk des Hauses war ein hoher weiß getünchter Raum mit einem Bett, einem Stuhl, einem Waschtisch und einem Kleiderschrank mit eingeschnitzten Wappen. Schlagläden hielten im Sommer die Sonne ab und dick gefütterte Damastvorhänge bewahrten im Winter die Wärme. Rund um den großen Innenhof des Hauses zogen sich die Arkaden einer Loggia, die Schutz vor Sonne und Regen bot.  
    Nachts, wenn sie nicht schlafen konnte, schlich Tessa heimlich hinab in diesen Hof. An Sommerabenden verströmte der Garten dort einen besonderen Zauber. Es duftete nach Wachsblumen und Oleander, und die Zitronen an den Bäumen in den Terrakottatöpfen hingen schwer und golden im Mondlicht. Hoch oben flimmerten tausend Sterne am Nachthimmel.  
    Frühstück, Mittag- und Abendessen nahm Tessa mit den Zanettis ein. Die Gespräche bei den Mahlzeiten drehten sich meistens um praktische Dinge – das Wetter, die Ernte, die Schwierigkeiten, dies oder jenes zu beschaffen –, ehe sie sich schwerer wiegenden Themen wie Politik, Religion oder Philosophie zuwandten. Die Frauen der Familie Zanetti zeigten sich bei solchen Diskussionen von einer kühlen Intelligenz, die ihnen erlaubte, jeden Gegenstand sachlich zu zergliedern, bis er in all seinen Facetten sichtbar wurde. Dabei fielen jedoch nie böse Worte, Türenknallen oder wütendes Davonstürmen gab es nicht. Tessas höflich erbetene Meinung wurde artig angehört und dann Stück für Stück auseinandergenommen. Am Ende legte Olivia ihre Serviette zusammen, faltete die Hände und sprach ein Dankgebet, bevor sie vom Tisch aufstand, um wieder an die Arbeit zu gehen.  
    In der Schule fungierte Tessa als Assistentin Signora Granellis, die die jüngsten Kinder unterrichtete. Sie verteilte Papier und Buntstifte, half den Schülern beim Schreiben der ersten Buchstaben und wusch ihnen Gesichter und Hände.  
    Faustina Zanetti hatte ein mageres, gelblich blasses Gesicht, und das weiche braune Haar fiel über intelligente graue Augen. Da Schule und Krankenstation nahe beieinander waren, legten Tessa und Faustina nach ihrem Arbeitstag den Weg zum Herrenhaus oft gemeinsam zurück.  
    Als sie eines späten Nachmittags den steinigen Pfad hinaufgingen, sagte Faustina: »Wenn der Krieg vorbei ist, werde ich Ärztin. Ich studiere in Bologna oder Parma – oder vielleicht in Paris oder Edinburgh, wenn es sein muss.« Faustina zog die Nase hoch. »Ich wollte immer studieren, aber mein Vater hat es nicht erlaubt. Er fand, Frauen brauchten nicht auf die Universität zu gehen. Frauen heiraten, und basta.« Sie zuckte mit den Schultern. »Kann ja sein, dass Frauen wie du heiraten, Frauen wie ich jedenfalls nicht.«  
    »Ich habe nie geheiratet«, sagte Tessa. »Ich wollte auch nie jemanden heiraten.«  
    Faustina sah sie an, dann lachte sie prustend. »Bis auf den unglücklichen Signor Bruno.«  
    »Bis auf ihn«, räumte Tessa lächelnd ein. »Und ich kann nicht behaupten, dass er groß betrauert wird.«  
    »Ich möchte Chirurgin werden.« Faustina ging mit langen, schnellen Schritten weiter. »Dottore Berardi hat mich letztes Jahr bei einer Blinddarmoperation assistieren lassen. Er dachte, ich würde ohnmächtig werden, aber da hatte er sich getäuscht.«  
    Vor ihrem Aufenthalt in der Villa di Belcanto

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