Der italienische Geliebte (German Edition)
Post auf und legte sie auf den Flurtisch.
Sie ging zum Wagen zurück. »So, da wären wir, Mama, endlich wieder zu Hause.« Sie hörte selbst, wie sie in den künstlich munteren Ton verfiel, der ihr seit der Krankheit ihrer Mutter zur Gewohnheit geworden zu sein schien. Sie vermutete, dass er auch ihrer Mutter auf die Nerven ging, denn sie seufzte resigniert, als Rebecca ihr aus dem Auto half.
Das gesundheitliche Befinden ihrer Mutter hatte sich im Lauf des Frühjahrs ständig verschlechtert, und Ende Mai war schließlich eine Operation – eine Totaloperation – notwendig geworden. Da Meriel mitten im Schuljahr keinen Urlaub nehmen konnte, hatte Rebecca die Betreuung ihrer Mutter nach deren Entlassung aus dem Krankenhaus übernehmen müssen.
Langsam gingen sie, Mrs. Fainlight auf Rebeccas Arm gestützt, den Weg zum Haus hinauf. Im Flur zog Mrs. Fainlight die Nase hoch und sagte: »Ach, du meine Güte. Du hättest doch wenigstens lüften können, Rebecca.«
»Dazu hatte ich keine Zeit. Ich bin direkt zu dir ins Krankenhaus gefahren.«
»Unverschämt von diesem Verein, dich bis zum letzten Moment festzuhalten.«
Mrs. Fainlight nannte den Mayfield-Hof immer nur ›diesen Verein‹ . Rebecca dachte daran, ihr zu erklären, dass sie bis zum letzten Moment auf dem Hof geblieben war, weil sie dort gebraucht wurde, um beim Anbau der Lebensmittel zu helfen, auf die das Land jetzt im Krieg angewiesen war. Aber sie unterließ es.
Stattdessen sagte sie munter: »Sobald du bequem in deinem Bett liegst, putze ich einmal kurz durch, Mama. Es wird bald wieder blitzsauber sein.«
Ihre Mutter zog die Handschuhe aus. »Ich fürchte, mit einmal kurz Durchputzen ist es nicht getan. Mrs. Roberts ist ein schlechter Ersatz für Gibson. Du hast keine Ahnung, wie schwierig alles ist.«
Mrs. Fainlights Haushilfe, Gibson, seit Rebeccas Kindheit bei der Familie, war Ende 1941 gestorben. Rebeccas Suche nach einer Hilfe für ihre Mutter, die auch im Haus wohnen würde, hatte keinen Erfolg gehabt, zum Teil, weil die angebotene Entlohnung nicht an das heranreichte, was Frauen derzeit in den Fabriken verdienen konnten, und zum Teil, vermutete Rebecca, weil die Unfreundlichkeit ihrer Mutter bei den Vorstellungsgesprächen die wenigen Bewerberinnen, die sich meldeten, gleich abgeschreckt hatte. Schließlich war Mrs. Roberts engagiert worden, jeden Morgen drei Stunden zum Putzen und Wäschewaschen ins Haus zu kommen. Aber das Haus sah verlottert aus, dachte Rebecca, als sie ihrer Mutter die Treppe hinaufhalf. Die vielen Briefe auf dem Dielenboden – es sah aus, als wäre Mrs. Roberts schon eine ganze Weile nicht da gewesen. Sie würde mit ihr reden müssen.
Im Schlafzimmer machte sie das Fenster auf, um frische Luft hereinzulassen. Während Rebecca den Koffer auspackte, saß ihre Mutter in dem roséfarbenen Samtsessel. Sie sah abgemagert und müde aus, und Rebecca empfand plötzliches Mitleid mit ihr. Ihrer Mutter beim Auskleiden und Überziehen eines Nachthemds zu helfen, war eine schwierige Angelegenheit. Mrs. Fainlights Vorstellungen von Sitte und Anstand waren edwardianisch, selbst der eigenen Tochter durfte kein Stück nacktes Fleisch gezeigt werden. Aber endlich war es geschafft, und ihre Mutter lag wohlbehalten in ihrem Bett, zu erschöpft, um noch zu streiten oder zu nörgeln.
»Ich habe vom Hof ein paar Eier mitgebracht«, sagte sie. »Soll ich dir zum Mittagessen eines kochen, Mama?« Mrs. Fainlight nickte.
Unten in der Küche kochte Rebecca ein Ei und stellte es in einem Eierbecher neben ein Butterbrot auf ein Tablett, dekorierte das Ganze mit ein paar Rosenknospen in einem kleinen Krug und trug es nach oben zu ihrer Mutter. Als sie eine Viertelstunde später mit einer Tasse Tee noch einmal hinaufging, waren Brot und Ei gegessen, und ihre Mutter schlief fest.
Nachdem Rebecca selbst ihren Tee getrunken hatte, begann sie mit dem Hausputz. Während sie fegte und abstaubte und wischte, meldeten sich wieder die Schuldgefühle, die immer schon die Beziehung zu ihrer Mutter kennzeichneten. Es hatte vernünftig geschienen, Meriel die regelmäßigen Besuche im Krankenhaus übernehmen zu lassen und selbst in der Zeit danach einzuspringen, aber vielleicht war Vernunft nicht die angemessene Reaktion, wenn die eigene Mutter sich einer ernsten Operation unterziehen musste. Andererseits konnten David und Carlotta auf dem Hof nicht alles allein schaffen, zumal Carlotta schwanger war und sie im
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