Der italienische Geliebte (German Edition)
immer so bleiben.« Dann kippte er den Rest Wein aus der Karaffe in sein Glas und trank ihn. Ziemlich überstürzt, wie Rebecca bemerkte.
Nach dem Essen, als Milo sich in sein Arbeitszimmer geflüchtet hatte und Mrs. Fainlight auf dem Sofa ein Nickerchen machte, gingen Rebecca und Meriel in den Garten hinaus.
»Was macht deine Erkältung?«, fragte Rebecca.
»Ach, sie wird langsam besser. Ich wollte mich heute eigentlich drücken, aber…« Meriel zuckte mit den Schultern.
Sie war etwas kleiner und stämmiger als Rebecca und trug ein gelbbraunes kratziges Tweedkostüm mit einem selbst gestrickten, kurzärmligen braunen Pullover darunter. Meriel schminkte sich nie und ließ sich die Haare immer von der Friseurin machen, die einmal im Monat ins Internat kam, um den Mädchen die Haare zu schneiden. Meriel hatte vergissmeinnichtblaue Augen und einen schönen Teint – Rebecca fand, sie könnte viel mehr aus sich machen. Sie hatte ihr einmal vorgeschlagen, mit ihr in die Stadt zu fahren und Kleider zu kaufen, worauf Meriel erklärte, sie hasse Einkaufsbummel und habe keine Lust, ihre Nachmittage in Umkleidekabinen bei Selfridges zu verschwenden.
Rebecca sah sie an. Ihre Nase war rot und wund, sie wirkte müde. »Ich bin froh, dass du gekommen ist«, sagte sie und drückte ihre Schwester kurz an sich. »Wie war die Woche?«
»Ziemlich unerfreulich. Ich hatte gestern einen Zusammenstoß mit Miss Lawson.«
Miss Lawson, die stellvertretende Schulleiterin, war jünger als Meriel und erst im vergangenen Jahr an die Schule gekommen.
»Warum denn?«
Meriel erzählte ihre Geschichte. Sie hatte vorgehabt, mehrere Stühle aus dem Aufenthaltsraum der Oberstufenschülerinnen zum Aufarbeiten zu geben, aber Miss Lawson hatte ihr Veto eingelegt, um Schulgelder zu sparen. Rebecca spürte, dass Meriel vor allem deshalb so aufgebracht über Miss Lawsons Einmischung war, weil sie die Schule als ihr Zuhause betrachtete.
Um ihre Schwester aufzumuntern, fragte Rebecca nach Dr. Hughes.
»Den werde ich heute Morgen verpasst haben«, sagte Meriel. »Er wollte nach Joanna sehen.«
»Wie schade.«
»Wir haben sehr lange miteinander telefoniert. Offenbar geht es Deborah wieder schlecht. Er wird vielleicht den Chor aufgeben müssen.«
Arme Meriel, dachte Rebecca. Ihre Romanze, wenn man es überhaupt so bezeichnen konnte, musste von wöchentlichen Chorproben (Meriel hatte eine beeindruckende Altstimme und Dr. Hughes sang Bass) und gelegentlichen Teestunden in Meriels Wohnung leben, wenn Dr. Hughes in die Schule kam, um eine Schülerin zu behandeln. Wie schrecklich, dachte Rebecca oft, sich mit solchen Krümeln bescheiden zu müssen.
Die Schwestern waren spartanisch erzogen worden. Obwohl ihre Eltern gewiss nicht am Hungertuch nagten, galt ihnen Sparsamkeit als Tugend und wurde auf allen Gebieten praktiziert. Das Essen war einfach, und das große, zugige Haus wurde nur spärlich geheizt. Den fünf Kilometer langen Schulweg mussten Rebecca und Meriel bei jedem Wetter zu Fuß gehen. Gute schulische Leistungen wurden als Selbstverständlichkeit betrachtet, jedes Versagen stieß auf Enttäuschung und Missbilligung. Mr. und Mrs. Fainlight waren der Überzeugung gewesen, dass Kritik den Charakter stärke. Obwohl ihr Vater nicht religiös war, schickte er seine Töchter auf eine anglikanische Schule. Sie erinnerten sich beide ihrer ersten Wochen an der Schule als einer Zeit qualvoller Unsicherheit und Scham – ihre Uniformen, die billig von einer Hausschneiderin angefertigt waren, unterschieden sich von denen der anderen Mädchen, und dass sie das Vaterunser nicht aufsagen konnten, blieb nicht unkommentiert. Sie lernten, sich anzupassen – Rebecca, die schon damals ein hübsches Mädchen war, erfreute sich bald sogar großer Beliebtheit –, aber sie wussten, dass sie anders waren.
Mit zwanzig wurde Rebecca zum Studium an der Kunstakademie angenommen. Zwei Jahre später begegnete sie beim Künstlerball in Chelsea Milo Rycroft und heiratete ihn im Jahr darauf. Als 1927 ihr Vater starb und Mrs. Fainlight die große Villa verkaufte und in das kleinere Haus in Abingdon umzog, hoffte Rebecca, jetzt, da sie ihren beiden Töchtern näher war, würde sie weicher und gütiger werden. Aber Mrs. Fainlight blieb schwierig und schwer zufriedenzustellen. Rebecca und Meriel fürchteten ihre Launen. Wenn ihre Mutter verstimmt oder enttäuscht sein wollte, dann fand sie auch etwas, worüber sie verstimmt
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