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Der italienische Geliebte (German Edition)

Der italienische Geliebte (German Edition)

Titel: Der italienische Geliebte (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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vielleicht oder ins Wien der Jahrhundertwende. Ich hielt Sie beinahe für einen Geist. Albern, aber irgendwie hatte die Vorstellung sie doch fasziniert.  
    Tessa ließ die Zigarette aufs Pflaster des kleinen Innenhofs fallen und trat sie mit ihrem hochhackigen Pumps aus. Auf dem Rückweg in den Klub fragte sie sich, ob sie Milo Rycroft je wiedersehen würde. Und musste sich eingestehen, dass sie es hoffte.  

2
     
    Milo hatte seinen Roman Der zerbrochene Regenbogen in einem einzigen Schaffensrausch innerhalb von nur acht Wochen abgeschlossen. Er überbrachte seinem Verleger, Roger Thoday, seine Manuskripte immer persönlich, und die Übergaben liefen nach einem lang gepflegten, angenehmen Ritual ab. Milo nahm in Oxford den Zug und kam am späten Vormittag in Rogers Büro am Golden Square an. Sie aßen im Café Royal gemeinsam zu Mittag, tranken zur Feier des Tages ein Glas Champagner, zum Essen dann Wein und zum Abschluss einen Brandy.  
    Milo hatte Rebecca gesagt, dass er die Nacht in London bleiben werde. Er wolle einen Freund besuchen, der nach einer Operation das Haus hüten musste, und müsse im Britischen Museum einiges recherchieren.  
    Beides entsprach der Wahrheit. Aber zugleich stiegen, wie Luftblasen an die Wasseroberfläche, Gedanken an Tessa Nicolson auf. Er hatte seit dem Zusammentreffen am Weiher nicht versucht, mit ihr Verbindung aufzunehmen. Am Tag danach, übernächtig und leicht melancholisch wie oft nach einem Fest, hatte er erkannt, dass er sie nicht wiedersehen durfte. Die Szene am zugefrorenen Weiher musste bleiben, was sie war, ein flüchtiger Moment der Vollkommenheit. In der gedankenvollen Stimmung, in der er war, schien ihm, dass die Poesie, die dieser Begegnung innewohnte, nicht angerührt werden dürfe – dem Augenblick Dauer geben zu wollen, käme der Überfrachtung einer Gedichtstrophe gleich. Und außerdem, wenn Rebecca dahinter käme, selbst wenn gar nichts passierte, würde das die schlimmsten Konsequenzen haben. Milo schauderte noch jetzt, wenn er sich an Rebeccas Wutanfall erinnerte, nachdem sie seine Affäre mit Annette Lyle entdeckt hatte. Rebecca hatte ein heftiges Temperament, und verzieh nicht leicht. Milo fand sie beängstigend in ihrem Zorn. Er war ihre Bewunderung gewöhnt, die eisige Verachtung war schwer zu ertragen gewesen. Sie war eine starke Frau, und in ihrer Verletztheit war sie ihm wie eine angeschossene Löwin erschienen, blutend und gedemütigt. Er hatte den Blick abwenden müssen. Seit Annette war er vorsichtig gewesen. Was nicht hieß, dass er immer »brav« gewesen war.  
    » Lesen Sie die Vogue, Mr. Rycroft? « Bei seinem ersten Besuch in Oxford nach der Begegnung am Weiher hatte er sich die Zeitschrift gekauft. Auf der Umschlagseite war eine Fotografie von Tessa Nicolson gewesen; einem kurzen Absatz auf der Innenseite hatte er entnommen, dass Tessa Nicolson Mannequin und Fotomodell war. Auf dem Porträt saß sie an einem Tisch in einem Café, einen schlanken, mit Gold und Smaragden behängten Arm erhoben. Ihre Schönheit wirkte kühl, fast asketisch.  
    In den folgenden Wochen schrieb Milo wie im Fieber, verließ sein Arbeitszimmer nur, um einen Abend in der Woche nach Oxford zu fahren und seine Vorlesung zu halten, und um auf Wanderungen über die Hügel den Kopf für den nächsten kreativen Schub freizubekommen. Manchmal wanderte er bis zum Weiher, aber Tessa Nicolson war nie dort. Mit den dahineilenden Wochen begann sein ursprünglicher Entschluss aufzuweichen, und er merkte, dass seine Entscheidung, sich nicht bei ihr zu melden, nur eine Vertagung war, nichts Endgültiges. Beinahe unbewusst hatte er einen Pakt mit sich selbst geschlossen: Erst das Buch fertigstellen, dann die Belohnung – ein Anruf bei ihr. In der Hochstimmung, die den Abschluss seines Romans begleitete, glaubte er, das verdient zu haben.  
    Beim Mittagessen unterhielten sich Milo und Roger Thoday über die Londoner Literaturszene, die sich stetig zuspitzende politische Lage und Rogers bevorstehenden Angelurlaub am Spey in Schottland. Nach einer vorzüglichen Mahlzeit verabschiedeten sie sich voneinander, und Roger kehrte in den Verlag zurück. Milo steuerte die nächste Telefonzelle an und bat bei der Vermittlung um Tessa Nicolsons Nummer. Er musste einen Moment warten, bis er durchgestellt wurde, dann meldete sich eine Hausangestellte. Milo nannte seinen Namen. Diesmal musste er länger warten. Im Hintergrund hörte er blechern verzerrt Stimmen und Musik, während er sich in

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