Der italienische Geliebte (German Edition)
sie in einen Topf mit Wasser und stellte sie auf den Herd. Dann las sie den nächsten Teil des Rezepts: ›Geben Sie Zucker und Wasser in einen Topf und lassen Sie die Lösung köcheln, bis sie wieder zu Zucker wird.‹ Sie runzelte verwirrt die Stirn. Was sollte das denn heißen? Wozu die ganze Mühe, wenn der Zucker am Ende nur wieder seinen Originalzustand erreichte?
Sie las weiter. ›Geben Sie die Apfelmischung in eine Form und stürzen Sie sie, wenn sie ganz erkaltet ist.‹ Wie lange brauchten gekochte Äpfel, um kalt zu werden? Eine halbe Stunde – länger? Sie hatte keine Ahnung. Sie sah auf die Uhr. Viertel nach sieben. Milo wollte um halb acht hier sein, und sie hatte sich noch nicht einmal umgezogen.
Sie kippte die Äpfel, die zu einer schaumigen Masse verkocht waren, in ein Sieb, um die Flüssigkeit ablaufen zu lassen, rührte etwas Zucker hinein und goss alles in eine Puddingform, die sie in den Kühlschrank stellte. Die Küche sah aus wie ein Schlachtfeld, und ihre Schuhsohlen klebten an Spritzern von Apfelkompott auf dem Fußboden.
Keine Zeit, um ein Bad zu nehmen. Während sie das Becken einlaufen ließ, betrachtete sie sich im Spiegel: ein hohläugiges, blasses Gesicht mit einem schwarzen Fleck auf einer Wange. Nach der Wäsche ging sie ins Schlafzimmer. Im Schrank hingen die schicken schräggeschnittenen kleinen Fummel, die sie früher, in einem anderen Leben, getragen hatte. Bei ihrem Anblick empfand sie etwas wie Trauer um alte Freunde. Sie zog ein dunkelgrünes Wickelkleid an, das sie selbst geschneidert hatte, weil die Umstandskleider in den Läden so abschreckend waren und sie immer schon gern genäht hatte. Dann schminkte sie sich, verdeckte die dunklen Schatten unter ihren Augen und verrieb etwas Rouge auf ihren Wangen.
Zehn vor acht.
Milo ließ auf sich warten. Wahrscheinlich der Verkehr – bei Regen war es oft schwierig, ein Taxi zu ergattern. Noch schnell ein Tupfer Véga von Guerlain hinter die Ohren, saßen die Strumpfnähte auch gerade?, dann ging sie wieder ins Wohnzimmer.
Während sie aufräumte und die schmutzigen Teetassen ins Spülbecken stellte, überfiel sie plötzlich das Gefühl, dass er nicht kommen würde. Anfangs tat sie es als Unsinn ab, aber mit den verstreichenden Minuten wurde es immer mehr zur Gewissheit. Sie deckte zwar den Tisch und zündete die Kerzen an, aber der Elan war weg.
Sie setzte sich wieder aufs Sofa, zog die Beine hoch und wartete. Vielleicht, dachte sie, hatte es einen Unfall gegeben. Unruhig drehte sie das Radio an. Der Refrain aus irgendeiner komischen Oper füllte das Zimmer. Keine Eilmeldungen von Zugunglücken oder schweren Überschwemmungen unterbrachen die Musik, und nach einer Weile schaltete sie den Apparat wieder aus.
Sie sehnte sich danach, Milos Stimme zu hören. Vielleicht hatte er seinen Zug verpasst und wartete in seinem Büro in Oxford, von dem aus er oft stundenlang mit ihr telefonierte. Sie ließ sich von der Vermittlung mit der Nummer verbinden. Niemand meldete sich. Sie dachte daran, ihn zu Hause anzurufen und wusste, dass sie es lieber sein lassen sollte. Er würde bald hier sein. In diesem Augenblick saß er wahrscheinlich schon im Taxi nach Highbury, in der Hand einen Blumenstrauß und in der Manteltasche eine Flasche Wein. Gleich würde der Wagen unten halten, er würde herausspringen und in großen Sätzen die Treppe hinauflaufen. Er nahm niemals den Aufzug. Wenn sie die Tür öffnete, würde er die Blumen auf einen Stuhl werfen, oder sie würden den Strauß in ihrer Umarmung zerquetschen.
Sie trat ans Fenster und zog den Vorhang zur Seite. Unten fuhr ein Taxi durch die Straße. Halt an, dachte sie, aber es fuhr weiter. Die Rücklichter schimmerten im Regen, als das Fahrzeug um eine Ecke bog und verschwand.
In der Küche nahm sie das Apfeldessert aus dem Kühlschrank und tunkte einen Finger hinein. Es war immer noch flüssig. Sie stellte es zurück in den Kühlschrank. Dann setzte sie sich wieder ins Wohnzimmer, zündete sich eine Zigarette an und drückte sie gleich wieder aus. Sie sollte stricken lernen, dachte sie. Diese Stille, dieses Warten – es war besser zu ertragen, wenn man etwas zu tun hatte.
Als das Telefon klingelte, stürzte sie zum Apparat, vor lauter Angst, es könnte aufhören zu läuten, bevor sie es erreichte.
»Milo?«, stieß sie atemlos hervor.
»Tessa?«
»Oh, Gott sei Dank.« Eine Welle der Erleichterung. »Ich dachte schon, es wäre etwas
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