Der italienische Geliebte (German Edition)
benennen konnte, fehlte ihr, und der Mangel machte sie unendlich traurig. Vielleicht war es die Nähe, die Gemeinsamkeit. Wann hatte diese Gemeinsamkeit aufgehört? Wann hatten sie begonnen, nebeneinanderher zu leben, statt ihr Leben miteinander zu teilen?
Tessa dankte dem Portier, der ihre Einkäufe nach oben getragen hatte, und sperrte die Wohnungstür auf. Draußen ging ein eiskalter Novemberregen nieder, und sie hatte, um zu sparen, statt eines Taxis den Bus genommen. Sie zog den Regenmantel aus und hängte ihn ins Bad, wo er verdrießlich vor sich hin tropfte. Im Schlafzimmer streifte sie die durchnässten Strümpfe ab. Unglaublich, dachte sie, wie sehr die Schwangerschaft einen veränderte. Sie war jetzt fast im achten Monat, und ihre Beine waren völlig außer Form, aufgedunsen und unförmig wie die der dicken, erschöpften Frau, die im Bus neben ihr gesessen hatte.
In der Küche packte sie die Taschen aus. Weil Milo in Restaurants immer Angst hatte, gesehen zu werden, hatte sie ihn zum Essen bei sich eingeladen. Sie hatte die Speisenfolge sorgsam zusammengestellt: pikante Ananas mit Rahmkäse, Rindsrouladen (etwas Köstliches) und zum Nachtisch ein gâteau de pommes. Es war fast drei Wochen her, dass sie sich das letzte Mal gesehen hatten, und er fehlte ihr schrecklich. Aber jedes Mal,wenn er nach London fahren wollte, war etwas dazwischen gekommen. Sie hatte ihm angeboten, ihn in Oxford zu treffen, aber er war nicht begeistert gewesen. Und wenn dann etwas passiert?, hatte er gefragt. Wenn das Kind früher kommt?
Als sie in die Knie ging, um eine Schüssel aus dem Unterschrank zu nehmen, fürchtete sie einen schrecklichen Moment lang, nicht wieder hochzukommen, aber dann schaffte sie es mit Hilfe der Schrankgriffe, sich aufzurichten. Zuerst der Salat, beschloss sie. Man musste den Rahmkäse mit Salatsoße mischen und ihn dann laut Rezept auf einem feuchten Küchenbrett mit feuchtem Messer ausrollen. Danach wurde die Masse zu Kugeln geformt und diese in die Mitte eines Ananasrings gedrückt.
Vielleicht war ihre Unterlage zu feucht oder nicht feucht genug, auf jeden Fall klebte der Käse am Messer, am Brett und ihren Händen fest, sodass sie ihn schließlich mit einem Löffel abkratzen und mit den Fingern in die Ananasringe pressen musste. Als Nächstes nahm sie sich die Rinderrouladen vor. Das Telefon läutete, als die Zwiebeln in der Pfanne brutzelten. Sie stürzte an den Apparat, weil sie glaubte, es sei Milo, der versprochen hatte anzurufen, wenn er aus Oxford abfuhr. Aber es war nicht Milo, es war Antonio, um ihr mitzuteilen, dass Bee ihm ihr Jawort gegeben hatte. Ob sie nicht ins Lamb in der Lamb’s Conduit Street kommen wolle, um mit ihnen zu feiern? Tessa gratulierte ihm, sagte, sie habe leider schon etwas anderes vor und brach das Gespräch abrupt ab, als aus der Küche Brandgeruch kam.
In Rauchwolken gehüllt nahm sie die schwarzgebrannten Zwiebeln vom Herd und suchte, zu müde, um noch einmal Zwiebeln aufzuschneiden, die besterhaltenen für die Rouladen heraus, bereitete mit gekörnter Brühe etwas Soße, goss sie über die Rouladen und schob das Ganze ins Rohr. Dann kochte sie sich erst einmal eine Tasse Tee und setzte sich aufs Sofa. Sie sollte lieber aufräumen, dachte sie angesichts des Durcheinanders von Büchern, Zeitschriften und gebrauchten Teetassen auf dem Couchtisch. Sie ließ das Hausmädchen jetzt nur noch zwei Tage die Woche kommen, um Geld zu sparen, aber seitdem sah die Wohnung immer unordentlich aus. Nur eine Minute noch, dachte sie, streckte sich auf dem Sofa aus und schloss die Augen. Sie legte beide Hände auf den Bauch und spürte die trägen Schwimmbewegungen des Kindes.
Als sie erwachte, war es Viertel vor sieben. Milo war offenbar zu sehr in Eile gewesen, um sie vor seiner Abfahrt noch anzurufen. Schlapp und müde ging Tessa in die Küche. Die Rouladen im Rohr sahen unappetitlich aus: Ein Teil der Füllung war herausgequollen und schwappte rötlich grau in der Soße.
Mit dem gâteau de pommes hatte sie noch gar nicht begonnen. Kopf und Rücken taten ihr weh, während sie am Spülbecken stehend die Äpfel schälte und entkernte. Nur noch sechs Wochen, versuchte sie sich zu trösten. Sechs Wochen, dann war es vorbei. Sie wusste immer noch nicht, was sie tun würde. Sie wusste, dass es am vernünftigsten wäre, das Kind adoptieren zu lassen. Wie es vernünftig gewesen wäre, Rays Heiratsantrag anzunehmen.
Als die Äpfel geschnipselt waren, gab sie
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