Der Jäger
Ich ruf gleich die Gonzalez an, dann kann sie den Kram schon durch den Computer jagen. Und du kannst ruhig schon losfahren, und zwar ins Präsidium. Heute Nachmittag möchte ich noch Lewell und Maibaum befragen.«
»Wir sollten mal einen Augenblick warten, es ist eben ein Streifenwagenin die Thomas-Mann-Straße geschickt worden. Eine Frau wird seit heute Morgen vermisst …«
»Nicht schon wieder«, seufzte Julia Durant. »Um Himmels willen, nicht schon wieder!«
»Komm, jeden Tag wird irgendjemand vermisst gemeldet. Lass uns in Ruhe eine rauchen, und dann rufen wir bei Berger an.«
Sie stellten sich ans Auto, rauchten schweigend und ließen sich von der milden Herbstsonne umschmeicheln.
Julia Durant war nervös. Hellmer hatte die Fenster runtergelassen und den Polizeifunk lauter gestellt. Der Streifenwagen war in der Thomas-Mann-Straße angekommen. Ein Beamter meldete sich, sagte, eine junge Frau stehe vor der verschlossenen Tür einer gewissen Vera Koslowski, die Rollläden seien heruntergelassen.
»Fahren wir«, erklärte Durant mit energischer Stimme und warf ihre Zigarette auf den Bürgersteig. Sie waren auf der Schweizer Straße, als Berger sich meldete. Seine Stimme hatte wieder jenen Ton, der nichts Gutes verhieß.
»Wir wissen schon Bescheid«, unterbrach sie ihn. »Die sollen mit dem Aufmachen der Tür warten, bis wir da sind.«
Sie steckte das Blaulicht auf das Dach, Hellmer stellte das Martinshorn an. »Scheiße, große gottverdammte Scheiße!«, fluchte Julia Durant. »Ich sag’s doch, der Kerl hat Blut geleckt. Der ist jetzt in einem wahren Blutrausch.«
»Du weißt doch noch gar nicht, ob …«
»Vera Koslowski, verdammte Scheiße! Wie war das noch mal, sie hätte nächste Woche Geburtstag gehabt und gleichzeitig das zwanzigjährige Bestehen ihrer Agentur gefeiert. Und wir waren eingeladen.« Sie sah Hellmer ratlos und resigniert von der Seite an. »Frank, die Frau ist tot, das weiß ich. Das kann kein Zufall sein. Verdammt, verdammt, verdammt!«
Mittwoch, 10.50 Uhr
Es war eine eher triste Wohngegend, uniforme, wenngleich gepflegte Hochhäuser, Sozialbauten, reckten sich zu beiden Seiten der Straße nach oben. Ein Supermarkt, ein paar Tiefgaragen, ein Spielplatz, eine Fußgängerbrücke, die sich über die Straße spannte, ein jetzt geschlossener Kiosk, Büsche, hinter denen Bierdosen, Flachmänner und ein paar Schnapsflaschen lagen, Parkplätze. Ein alter Mann, der seinen Wagen wusch und immer wieder einen neugierigen Blick auf die Polizeiautos warf. Und inmitten dieser Hochhäuser, einer Insel gleich und doch wie Fremdkörper, ein paar kleine Reihenhäuser, Bungalows, in denen sich unter anderem eine Rechtsanwaltskanzlei und eine Arztpraxis befanden. Nur wenige Menschen auf der Straße und kaum ein Auto, das an ihnen vorbeifuhr.
Sie parkten direkt hinter dem Streifenwagen. Die Sonne versteckte sich hinter den Hochhäusern, der Wind war kühl. Ein älterer Beamter begleitete sie zu dem Flachdachbungalow. Der andere Beamte unterhielt sich gerade mit einer kleinen, zierlichen jungen Frau mit kurzen hellbraunen Haaren, die fassungslos den Kopf schüttelte. Sie wandte sich um, als sie die Schritte der Kommissare hinter sich hörte; Durant schätzte ihr Alter auf Ende zwanzig bis Anfang dreißig. Ein junger Schlosser stand lässig und sichtlich gelangweilt da, die hagere Gestalt mit dem Geiergesicht an die Wand neben der Eingangstür gelehnt, und hielt eine Zigarette in der Hand. Neben sich hatte er einen Werkzeugkoffer, und es schien, als würde er nur auf das Kommando, endlich mit seiner Arbeit beginnen zu dürfen, warten.
»Durant und Hellmer, Mordkommission«, sagte sie zu dem Beamten, und dann zu der jungen Frau: »Frau …?«
»Westphal, Petra Westphal. Warum ist die Mordkommission hier?«
Julia Durant ließ die Frage unbeantwortet. »Frau Westphal, könnenSie uns sagen, seit wann Sie Frau Koslowski vermissen und ob es bestimmte Gründe gibt, weshalb Sie die Polizei benachrichtigt haben?«
Petra Westphal machte einen sichtlich nervösen Eindruck, ihre Augen gingen unruhig von einem Beamten zum andern, sie zitterte, was auch an dem kühlen Wind liegen konnte.
»Frau Koslowski ist meine Chefin. Sie hat gestern am späten Nachmittag die Agentur verlassen, weil sie angeblich um halb sieben einen wichtigen Termin hatte. Sie hat aber gesagt, sie würde ihn noch einmal anrufen, weil unbedingt noch einige Hotelreservierungen vorgenommen werden mussten. In den nächsten Tagen sollten
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