Der Jäger
Gesicht, durch das er sich längst nicht mehr täuschen ließ.
»Und warum bist du heute nicht nach Hause gekommen?«, fragte er weiter, doch seine Stimme hatte nichts Vorwurfsvolles. »Du hättest wenigstens anrufen können.«
»Ach, Liebling«, sagte sie und nahm sich ebenfalls eine Zigarette, »als wir heute Mittag aufgestanden sind, haben wir gedacht, wir könnten mal für einen Sprung nach Wiesbaden fahren. Ich hab übrigens versucht, dich zu erreichen, aber du warst nicht da. Du solltest vielleicht ab und zu deinen Anrufbeantworter abhören. Ich verspreche dir, in den nächsten Tagen ein ganz artiges Mädchen zu sein und ganz brav zu Hause zu bleiben.« Auch das stimmte nicht, er wusste, sie würde schon morgen wieder losziehen, um sich einen Mann zu suchen. »Was machst du denn gerade?«, fragte sie und deutete auf den Tisch mit den aufgeschlagenen Akten.
»Darüber kann ich nicht sprechen«, sagte Richter und zog sie zu sich heran. Sie setzte sich auf seinen Schoß, der verführerische Duft von Roma stieg ihm in die Nase. Er liebte ihn. So wie andere Männer ihn wahrscheinlich genauso liebten. Dieser Duft, getragen von einer schönen Frau, konnte jeden um den Verstand bringen.
»So geheim?«, fragte sie und kraulte seinen Nacken.
»Sehr geheim.«
»Und wie lange musst du noch arbeiten?«
»Bis spät in die Nacht. Du kannst also ruhig zu Bett gehen und schlafen.«
»Ich habe aber keine Lust, alleine einzuschlafen. Ich möchte, dass du mit nach oben kommst«, sagte sie schmollend.
»Nein«, sagte Richter bestimmt. »Und außerdem, was hättest du davon, wenn ich mitkäme? Bin ich etwa so gut wie die andern?«
»Wie welche andern?«, fragte sie wieder mit diesem unschuldigen Augenaufschlag.
»Du weißt genau, wovon ich rede. Komm, geh schlafen oder sieh fern oder mach, was immer du willst, aber lass mich meine Arbeit erledigen. Und vielleicht dauert es auch nicht allzu lange, und dann komme ich nach.« Er gab ihr einen Klaps auf den Po, und sie verließ scheinbar beleidigt das Zimmer, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Nachdem sie gegangen war, setzte er seine Arbeit fort. In seinem Kopf hatte er bereits ein Bild vom Täter, er musste es nur noch niederschreiben. Und er hoffte inständig, dass dieses Bild der Polizei weiterhelfen würde, den Mörder schnell zu finden. Und er wollte mit seinem Freund Konrad Lewell sprechen und auf eine subtile Weise ein paar Informationen aus ihm herauskitzeln. In ihm kreiste seit dem Nachmittag der beinahe perverse Gedanke, dass Lewell etwas mit diesen Morden zu tun haben könnte, obgleich er ihm ein derart perfides Vorgehen nicht zutraute. Aber Lewell war der Einzige, der über detaillierte astrologische Kenntnisse verfügte, der bekannt war für sein Einfühlungsvermögen und seine erstaunlich stark ausgeprägte Intuition, aber auch für seine Unbeherrschtheit und seinen Jähzorn. Und zumindest einige der Opfer hatte er gekannt, und das nicht nur auf beruflicher Ebene. Fast jeder wusste, dass er schönen Frauen nicht widerstehen konnte, dass er seine Liebschaften wechselte wie andere ihre Unterwäsche. Richter war jedenfalls nicht bekannt, dass er jemals über einen längeren Zeitraum hinweg eine feste Beziehung gehabt hatte. Was für seine Bindungsunfähigkeitsprach und ihn damit wieder in den Kreis der potenziellen Täter einschloss. Allerdings passte sein jähzorniges Verhalten nicht in das Muster, denn der Täter ging sehr geplant und gezielt vor. Was wiederum gegen Lewell als Täter sprach. Und dazu kam, dass Lewell sein Freund war, sie seit Jahren über vieles redeten, er ihn sehr gut kannte und ihn nicht für fähig hielt, einen Mord zu begehen. Im Affekt vielleicht, doch nicht geplant. Aber fünf Morde? Nein, dachte er kopfschüttelnd, er hat damit nichts zu tun. Aber er weiß etwas. Und ich werde herauskriegen, was es ist. Vielleicht kennt er sogar den Täter, ohne es zu wissen?
Es war kurz nach zweiundzwanzig Uhr, als das Telefon klingelte. Er nahm nach dem ersten Läuten ab.
»Hallo, Liebling, ich bin’s schon wieder, Jeanette. Ich wollte nur mal hören, wie’s dem großen Meister so geht.«
»Ich bin müde und einfach geschafft.«
»Schade. Ich dachte, wir könnten noch etwas unternehmen. Etwas trinken und danach zu mir fahren. Oder du kommst gleich her zu mir. Wie wär’s? Ich könnte dich ganz schnell wieder auf Trab bringen.«
»Du weißt, ich schlage dir sonst nie einen Wunsch ab, aber heute geht es beim besten Willen nicht. Ich habe noch
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