Der Jäger
Kopf, stand auf, holte sich noch eine Dose Bier, die dritte an diesem Abend. Sie stellte sich ans Fenster und schaute hinaus in die Dunkelheit. Der gegenüberliegende Spielplatz wurde lediglich von einer schwachen Straßenlaterne erhellt, ein Auto fuhr langsam an ihrem Haus vorbei. Hinter fast allen Fenstern brannte Licht. Sie öffnete das Fenster, atmete die frische, aber kühle Abendluft ein und warf einen Blick nach oben. Der Himmel war sternenklar, der abnehmende Mond glänzte silbern. Trotz der Lichter der Großstadt waren die größten Sternbilder und die Venus gut auszumachen. Ein Flugzeug nach dem anderen nahm Kurs auf den Flughafen, wobei es bisweilen schien, als würden sie in der Luft stehen. Sie trank einen Schluck Bier. Es wurde kühl am Fenster, sie schloss es wieder, lehnte sich gegen die Fensterbank. Aber wenn es jemand aus Lewells Bekanntenkreis war, dachte sie weiter, dann würde es bedeuten, dass es sich um jemanden handelt, mit dem er selbst die vertraulichsten Dinge bespricht. Und dann ist es kein Bekanntermehr, sondern ein sehr guter, enger Freund. Jemand, dem er möglicherweise bedingungslos vertraut und den er schon sehr lange kennt. Jemand, von dem er niemals vermuten würde, dass er die Informationen auf eine derart brutale Weise für seine perversen Zwecke benutzen würde. Ein nach außen hin integrer Mann, einer, bei dem man nie auf die Idee kommen würde, dass er zu einem Mord fähig wäre. Wer zählt zu seinen Freunden? Richter, und wer noch? Van Dyck, Kleiber, Maibaum. Oder jemand, den wir noch gar nicht kennen? Wir müssen morgen unbedingt hinfahren und versuchen, diese Informationen zu bekommen. Und wenn er mauert, schleppen wir ihn aufs Präsidium. Und wenn er doch selbst der Täter ist? Wenn er aus irgendeinem unerfindlichen Grund einen geradezu abgrundtiefen Hass gegen bestimmte Skorpionfrauen entwickelt hat? Mein Gott, wenn ich doch nur einen Ansatz hätte, dachte sie. Lewell, Lewell, Lewell! Du bist möglicherweise der Schlüssel zu allem. Wenn du es nicht warst, dann jemand, den du sehr gut kennst. Aber mindestens drei der Opfer hatten sich gekannt, Weidmann, Kassner und Koslowski. Und vermutlich gehörte auch Juliane Albertz dazu.
Sie wurde in ihrem Gedankengang unterbrochen, als das Telefon klingelte. Sie stellte das Bier auf den Tisch und nahm den Hörer ab.
»Durant.«
»Hier Gonzalez.« Sie machte eine kurze Pause, die Kommissarin hörte das Atmen am andern Ende der Leitung. »Sie werden es nicht glauben, aber ich habe Ihre Daten einmal durch den Computer gejagt und dann noch einmal die Probe per Hand gemacht. Sie sind Skorpion mit Aszendent Löwe. Genau wie die anderen Opfer.«
»Was heißt das, genau wie die anderen Opfer? Meinen Sie etwa, ich sei in Gefahr?«, fragte Julia Durant.
»Entschuldigung, war nicht so gemeint. Ich habe selbstverständlich nur Ihr Geburtshoroskop erstellt. Allerdings würde ich michgerne mit Ihnen zusammensetzen, um kurz darüber zu sprechen. Wäre das möglich?«
»Ja, natürlich. Nur im Moment habe ich sehr wenig Zeit. Lassen Sie uns das verschieben, bis ich wieder ein bisschen Luft habe. Vielen Dank aber schon mal vorab. Ich melde mich bei Ihnen.«
»Ich kann Sie gut verstehen. Ich möchte Ihnen dennoch raten, in der nächsten Zeit vorsichtig zu sein. Man kann nie wissen, auf wen es der Täter als Nächstes abgesehen hat. Ach ja, da ist etwas, das ich vorhin vergessen habe. Selbst die Kombination Skorpion-Löwe bedeutet keinesfalls, dass jeder das gleiche Horoskop hat. Sehr, sehr wichtig ist auch, in welchen Häusern sich die jeweiligen Planeten befinden. Wer immer die Frauen umgebracht hat, er hat lediglich diese Kombination gewählt. Ich glaube fast, derjenige kennt zwar die Grundbegriffe der Astrologie, aber er ist kein Experte, denn dann wüsste er, dass kaum ein Horoskop dem andern gleicht, außer eventuell bei Zwillingen, die per Kaiserschnitt zur Welt kommen, oder Menschen, die in einem Ort zu exakt derselben Zeit geboren sind. Es ist in etwa zu vergleichen mit einem Fingerabdruck, der ja auch ziemlich einmalig ist. Das wollte ich Ihnen nur noch sagen. Gute Nacht.«
Julia Durant legte auf und ließ sich zurückfallen. Ich bin also auch Skorpion-Löwe, dachte sie und lächelte. Dann stand sie auf, ging ins Bad, sah auf die Badewanne und schüttelte den Kopf. Sie würde heute nur duschen und danach zu Bett gehen. Ein Blick auf die Uhr, Viertel vor zehn. Sie dachte noch einmal an Lewell, begab sich ins Wohnzimmer und wählte die
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