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Der Jäger

Der Jäger

Titel: Der Jäger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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gleichen merkwürdigen Traum gehabt, den sie nicht einzuordnen wusste. Sie war mit dem Auto in eine Tiefgarage gefahren, und plötzlich waren alle Ausgänge versperrt. Sie hatte versucht, irgendwie aus diesem Gefängnis herauszukommen, aber es war ihr nicht gelungen.
    Sie zwang sich, nicht länger über diesen absurden Traum nachzudenken, für heute standen einige wichtige Termine auf dem Programm. Sie blieb noch eine Weile im Bett sitzen, den Kopf auf den Knien. Nach einer kurzen Besprechung im Präsidium würde sie mit Hellmer zu Lewell fahren, um ihn zu einem Verhör aufs Präsidium mitzunehmen, damit er ihnen einige wichtige Fragen beantwortete. Vor allem kam es darauf an, ob er für die jeweiligen Tatzeiten ein Alibi vorweisen konnte. Außerdem würden sie ihn zwingen, seine Klientenkartei offen zu legen, um zu sehen, ob außer Juliane Albertz auch die anderen vier Opfer sich von ihm ein Horoskop erstellen ließen. Allein das Verhör von Lewell konnte sich stundenlang hinziehen, sofern er weiter beharrlich schwieg, wodurch er sich jedoch immer verdächtiger machen würde. Und Julia Durant wollte Richter fragen, ob er mit dem Täterprofil vorangekommen sei und es vielleicht schon heute präsentieren könnte.
    Um Punkt sieben stand sie auf, ging ins Bad und machte sich frisch. Sie holte die Frankfurter Rundschau aus dem Briefkasten, frühstückte, las dabei die Zeitung, die ausführlich über die libyschen Terroristen und deren Drohungen berichtete, sollten ihre Landsleute nicht umgehend freikommen. Im Lokalteil fand sie einen kurzen Artikel über den Mord an Vera Koslowski, der aber glücklicherweise nicht mit den anderen Morden in Zusammenhang gebracht wurde. Sie faltete die Zeitung zusammen, stellte das Geschirr in die Spüle, rauchte noch eine Gauloise und sahsich in der Wohnung um. Sie dachte dabei unwillkürlich an den merkwürdigen Zufall, dass auch sie Skorpion mit Aszendent Löwe war. Lächelnd drückte sie die Zigarette aus, erhob sich und zog die Jacke über, da sie aus den Nachrichten wusste, dass heute ein kühler Tag werden würde, ein Tag, den sie lieber im Bett verbracht hätte. Sie zuckte die Schultern, nahm ihre Tasche, machte die Tür hinter sich zu.
    Als sie um kurz vor acht im Präsidium ankam, waren die meisten Beamten bereits in ihren Büros. Berger saß wie immer hinter seinem Schreibtisch, die Arme über dem massigen Bauch verschränkt, ein leichter Geruch von Alkohol lag in der Luft. Durant fragte sich, wie lange sein Körper das noch mitmachen würde. Als sie ihn vor fünf Jahren kennen gelernt hatte, war er noch ein stattlicher, etwas fülliger Mann gewesen, versehen mit einem brillanten Verstand und analytischem Denken. Doch der tragische Unfalltod seiner Frau und seines Sohnes hatten aus ihm innerhalb kürzester Zeit ein nervliches und seelisches Wrack gemacht. Das Einzige, das ihm offenbar zu überleben half, waren Alkohol und übermäßiges Essen. Sein Gesicht wirkte aufgedunsen, er hatte mindestens vierzig Kilo zugenommen. Fast jeder in seiner Umgebung wusste von seinem Problem, doch beinahe dreißig Dienstjahre machten ihn praktisch unantastbar. Andere, jüngere Kollegen hingegen, die ein Alkoholproblem hatten, wurden bei Auffälligkeit in der Regel zu einer Entziehungskur mit anschließender Therapie geschickt, und wenn dies nichts half, wurden sie auf einen Posten versetzt, wo sie nicht direkt mit Ermittlungen oder ähnlich schwierigen Aufgaben betraut waren, oder sie wurden im schlimmsten Fall, sobald sie zum Beispiel ein Risiko darstellten, ihres Beamtenstatus enthoben und entlassen.
    Aber einen Berger, der sich über viele Jahre hinweg als ausgezeichneter Polizist bewährt hatte, der für seine untrügliche Spürnase bekannt war, schickte man mit Anfang fünfzig nicht mehrzu einer Entziehungskur oder Therapie. Er war weiterhin der Chef der Mordkommission und würde es auch bis zuletzt bleiben. Und jedem in dieser Abteilung, auch Berger, war klar, dass Durant, Hellmer und Kullmer inzwischen die führenden Köpfe waren. Berger erweckte bisweilen den Eindruck, als würde er den Tag seiner Pensionierung herbeisehnen, wenn er diesen Tag denn überhaupt noch erleben sollte. Er war ein einsamer, in sich gekehrter Mann, nicht in der Lage, Gefühle nach außen zu zeigen. Nur noch manchmal blitzte bei ihm so etwas wie Energie und scharfer Verstand durch, doch im Grunde überließ er den anderen Beamten die wesentliche Arbeit. Er war tagein, tagaus im Büro, bisweilen sogar am

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