Der Jäger
Tasse wieder hin, lehnte sich zurück und schlug die Beine übereinander.
»Zu Ihrer ersten Frage – ich weiß, dass Carola als Kind Tagebuch geführt hat. Wir haben nach der Tragödie ihre Wohnung leer geräumt und nichts dergleichen gefunden. Allerdings gab es einige Hefte mit Aufzeichnungen und Notizen, doch ob die Ihnen weiterhelfen werden … Und Dessous«, ein charmantes Lächeln überzog ihr Gesicht, »ja, sie hatte in der Tat ein Faible dafür. Nicht, um damit zu reizen, sondern weil es ihr gefiel. Es ist ein Irrtum zu glauben, Frauen würden ausgefallene Dessous nur derMänner wegen tragen, die meisten tun es, weil sie sich selbst darin gefallen. Aber wahrscheinlich hat sie das von mir. Ich hatte noch nie etwas für Baumwollunterwäsche übrig, und Carola war da nicht anders. Es liegt wohl in der Familie. Sie hat sogar einmal eine Dessousparty besucht und mir davon erzählt. Es ist schon amüsant, so etwas zu hören. Nur Frauen, die sich gegenseitig die schönsten …« Sie hielt inne, sah Hellmer mit verlegenem Lächeln an und fuhr dann fort: »Es tut mir Leid, ich wollte nicht zu sehr ins Detail gehen.«
»Das macht nichts«, sagte Durant und grinste Hellmer an, »mein Kollege ist mit einer sehr hübschen Frau verheiratet und kennt sich bestimmt in solchen Sachen aus. Nicht wahr, Frank?«
Hellmer errötete leicht und antwortete knapp: »Schon möglich.«
»Darf ich Ihnen noch eine sehr persönliche Frage stellen?«
»Bitte.«
»Wie empfinden Sie den Tod Ihrer Tochter heute, nach beinahe einem Jahr? Sie machen auf mich einen sehr gefassten Eindruck, wenn ich das sagen darf.«
Ilona Weidmann lächelte wieder. »Ich könnte mich natürlich in ein Mauseloch verkriechen, doch wem würde es nützen? Ich kann Carola nicht wieder lebendig machen, aber für mich muss das Leben weitergehen. Das Einzige, was sich seitdem verändert hat, ist, dass ich mich mehr mit Religion und dem Leben nach dem Tod auseinander setze. Es hilft, glauben Sie mir. Und außerdem haben wir noch einen siebzehnjährigen Sohn. Aber es ist schon komisch, früher habe ich mich nie mit dem Tod oder mit Religion oder Esoterik beschäftigt, doch jetzt weiß ich, was der Astrologe damals gemeint hat, als er sagte, Carola würde eine schwere, unruhige Zeit durchmachen.«
»Wann war das?«, fragte Durant neugierig.
»Etwa drei oder vier Monate vor ihrem Tod. Sie hat sich ein Horoskop erstellen lassen, und darin wurde ihr gesagt, es würdenschwere Zeiten auf sie zukommen. Sie hat das allerdings mehr auf ihre geschäftliche Tätigkeit bezogen, da sie damals gerade die Boutique eröffnet hatte. Tja, dass diese schweren Zeiten auf sie persönlich gemünzt waren, daran hatte sie wohl im Traum nicht gedacht.«
»Danke, Frau Weidmann, Sie haben uns sehr geholfen. Wir müssen uns leider auf den Weg machen, wir haben noch einen Termin hier ein paar Häuser weiter. Ähm … die Hefte mit den Aufzeichnungen und Notizen, die Sie bei Ihrer Tochter gefunden haben, könnten Sie uns die vorläufig zur Verfügung stellen?«
»Natürlich. Sie liegen oben in ihrem ehemaligen Zimmer. Warten Sie einen Moment, ich hole sie schnell.«
Durant und Hellmer tranken ihren Tee aus und erhoben sich. Frau Weidmann kehrte mit einer Mappe zurück, in der die Hefte aufbewahrt wurden.
»Sie sagten gerade, dass Sie noch einen Termin ein paar Häuser weiter haben. Entschuldigen Sie meine Neugier, aber darf ich fragen, wem Sie einen Besuch abstatten?«
»Professor Richter. Er arbeitet manchmal mit uns zusammen. Er ist ein fähiger Mann, wenn es um die Erstellung von Täterprofilen geht.«
»Ich kenne ihn sehr gut, ich war nach dem Tod unserer Tochter einige Male bei ihm. Ganz allein bin ich mit dem Verlust doch nicht zurechtgekommen. Grüßen Sie ihn von mir.«
»Das tun wir gerne. Auf Wiedersehen, und vielen Dank für Ihre Hilfe. Sie bekommen die Mappe sicher bald zurück.«
»Lassen Sie sich Zeit«, sagte sie mit einem Lächeln. »Und ich drücke Ihnen alle Daumen, dass Sie den Täter bald finden mögen. Er soll nicht noch mehr Unheil anrichten.«
Dienstag, 10.30 Uhr
Maria van Dyck, die Tochter eines der bekanntesten deutschen Filmproduzenten, erschien wie immer überpünktlich zu ihrer Sitzung bei Professor Richter. Sie kam seit einem Jahr regelmäßig zu ihm, und allmählich zeigte die Behandlung erste, wenn auch nur kleine Erfolge. Etappenziele, wie er es nannte. Sie war knapp einsfünfundsechzig groß, schlank, fast neunzehn Jahre alt und hatte
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