Der Jäger
Blick, er macht mir Angst. Sie sagt, sie würde mir gerne die Haare waschen. Ich entgegne, dass ich das allein kann, aber sie lässt keine Widerworte zu. Sie nimmt einfach das Shampoo und sagt, ich solle mir die Haare nass machen. Ich beuge mich kurz nach hinten, die Haare können gar nicht richtig nass sein. Ich will, dass sie geht, aber sie bleibt und sieht mich immer noch so komisch an, während sie meine Haare wäscht. Ich willaus der Badewanne raus, aber plötzlich … Nein, nein, nein, neeeeeiiiinnnn!!« Sie schrie gellend, schlug wild mit den Armen um sich, das Gesicht vor Angst verzerrt, dicke Schweißperlen auf der Stirn.
Richter wartete kurz, ob sie sich beruhigte, doch sie schrie immer weiter, Worte, die er nicht mehr verstand. Er beendete die Hypnose mit einem Befehl und hoffte, dass das, was von Maria van Dycks Unterbewusstsein an die Oberfläche gebracht worden war, sie nicht überfordert hatte, weder psychisch noch physisch. Er erinnerte sich nur ungern an einen Patienten, der vor vielen Jahren, als er mit der Hypnosetherapie noch nicht so vertraut war, plötzlich während der Sitzung nach Luft japste und beinahe einen Herzanfall erlitten hätte. Richter hatte damals nicht gewusst, dass dieser Patient unter einem chronischen Herzfehler litt.
Allmählich öffnete Maria van Dyck die Augen. Unter ihrer braunen Haut wirkte sie unnatürlich blass, ihr Atem ging noch immer schnell und stoßweise, ihre Lippen waren blutleer. Sie sah Richter an, der ihre Hand hielt und beruhigend auf sie einredete.
»Es ist alles in Ordnung, es ist alles in Ordnung. Ich bin hier, und es kann dir nichts passieren. Du bist hier vollkommen sicher und beschützt.«
»Mir ist schlecht«, sagte sie und setzte sich langsam auf. »Und mir ist schwindlig. Was war los?« Sie fuhr sich mit einer Hand über die schweißnasse Stirn, ihr Blick drückte Panik aus.
»Komm erst mal zu dir. Leg dich wieder hin, atme ganz ruhig und gleichmäßig, schließ die Augen, damit das Schwindelgefühl verschwindet. Gleich reden wir über alles.«
»Ich fühle mich so elend. Als ob ich ganz allein in einer fremden Welt wäre.«
»Das ist nicht unnatürlich. Für einen Moment warst du auch in einer dir unbekannten, fremden, beängstigenden Welt. Aber es könnte sein, dass wir der Ursache deiner Angst jetzt auf die Spur kommen.«
»Was habe ich gesagt?«, fragte sie, während sich ihr Herzschlag allmählich beruhigte. Und als Richter nicht antwortete, drängte sie: »Sagen Sie mir doch endlich, was los war.«
»Komm, setzen wir uns hin. Möchtest du etwas trinken?«
»Ich hätte gerne ein Glas Wasser. Und bitte, sagen Sie es mir«, flehte sie, während sie in einem Sessel Platz nahm, die Beine eng beieinander, die Arme auf die Lehnen gelegt.
Richter schenkte zwei Gläser Wasser ein und stellte beide auf den Tisch, der zwischen ihnen stand. Sie nahm es, nippte daran, hielt es zwischen den Händen, die noch immer leicht zitterten. Es war, als schaute sie den Kohlensäureperlen zu, die wie ihre Erinnerung an die Oberfläche drängten. Er beobachtete sie. Sie wirkte aufgewühlt, und irgendwie hatte sie etwas von einem verunsicherten, aufgescheuchten Reh.
Er hatte schon beim letzten Mal eine Befürchtung, die immer deutlicher Gestalt annahm, die er aber im Augenblick noch nicht als Fakt hinnehmen wollte. Er rang mit sich, ob er ihr das Band vorspielen sollte. Bevor er das tat, wollte er einen anderen Versuch unternehmen, der ihm schon einmal mit einem Patienten geglückt war. Es war eine ähnliche Situation wie diese gewesen, der Patient konnte sich an wesentliche Teile aus seiner Vergangenheit nicht erinnern, und es war nicht nur ein Verdrängungsprozess, der diese Erinnerung verhinderte, er hatte bestimmte Ereignisse schlicht vergessen. Bei ihm war es aber ein winziger Auslöser gewesen, der das scheinbar Vergessene wieder ans Tageslicht holte. Ein grünes Auto mit einem rothaarigen, sommersprossigen Mädchen, das ihn an einem herrlichen Sommertag durch die Heckscheibe angesehen hatte. In diesem kurzen Moment war eine Erinnerung hochgekommen, die ihn schließlich veranlasst hatte, sich Richter anzuvertrauen. Und ähnlich, so vermutete er, verhielt es sich auch mit Maria van Dyck.
»Maria, als du vorhin gekommen bist, habe ich dich etwas gefragt. Kannst du dich noch erinnern, was es war?«
»Nein.«
»Ich habe dich gefragt, ob etwas passiert ist, das dich traurig macht. Was war heute Morgen oder in den letzten Tagen gewesen, das dich traurig
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