Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Jäger

Der Jäger

Titel: Der Jäger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
Vom Netzwerk:
Geheimnis, das er nicht einmal dem besten Freund oder der besten Freundin oder der Mutter anvertraut. Ihre Tochter war erwachsen, und sie hatte das Recht auf
ihr
Geheimnis.«
    »Aber dieses Geheimnis hat sie das Leben gekostet«, erwiderte Frau Randow bitter. »Hätte sie nur ein Wort gesagt, dann wäre sie vielleicht noch am Leben! Und jetzt …«
    »Glauben Sie wirklich, Sie hätten sie daran hindern können, ihre Verabredung einzuhalten? Machen Sie sich keine Vorwürfe, es ist nicht mehr zu ändern.« Julia Durant schaute auf die Uhr, Viertel nach zehn. »Vielen Dank für Ihre Hilfe, wir müssen jetzt gehen. Und sollte es noch etwas geben, was Sie uns sagen möchten, bitte rufen Sie an.«
    »Ja. Und die Tagebücher bekommt wirklich niemand außer Ihnen zu Gesicht?«, fragte sie noch einmal.
    »Ich habe es Ihnen versprochen, und ich pflege meine Versprechen zu halten.«
    Frau Randow begleitete die Beamten hinaus, blieb in der Tür stehen, bis sie das Gartentor hinter sich geschlossen hatten. Dann ging sie zurück ins Haus, setzte sich in den Sessel vor dem Terrassenfenster und schaute auf den Garten. Stumme Tränen liefen über ihr Gesicht.

Dienstag, 10.15 Uhr
     
    »Sie tut mir Leid«, meinte Durant, als sie im Auto saßen und Hellmer den Motor startete.
    »Warum das denn? Hätte sie uns damals schon die Wahrheit gesagt, dann hätten wir die Drecksau wahrscheinlich längst.«
    »Geh nicht so hart mit ihr ins Gericht. Schau sie dir doch an, sie ist eine erzkonservative Frau, konservativ erzogen, und was tut eine solche Frau, wenn sie Kinder hat – sie gibt ihre eigene Erziehung an ihre Kinder weiter. Nichts Schmutziges tun, nichts Schmutziges denken, immer artig und fleißig sein, keinem zur Last fallen, möglichst überhaupt nicht auffallen, einfach nur leben, ohne von anderen bemerkt zu werden. Erinnerst du dich an die Vita der Albertz? Finanzbeamtin, einmal in der Woche ins Fitnesscenter, aber keinerlei Kontakt zu andern Besuchern. Kümmerte sich um ihre kranke Mutter und ihre Tochter, dazu noch geschieden, das war’s. Sie war einfach unauffällig, so wie ihre Mutter das wahrscheinlich gewollt hatte, weil sie selbst so ist. Und dann trifft Juliane Albertz auf einmal einen Mann, der sie fasziniert, der ihr sagt, wie toll und schön sie ist, der ihr Komplimente über Komplimente macht, denen sie sich nicht entziehen kann. Sie fühlt sich geschmeichelt wie ein junges Mädchen, wird vermutlich sogar rot dabei und fängt mit einem Mal an, Dinge zu denken und Sachen zu tun, an die sie sich in ihren dreißigJahren zuvor nicht einmal im Traum herangewagt hätte. Aber dieser Mann schafft es, das Schneckenhaus, in dem sie sich verkrochen hat, aufzubrechen, und gaukelt ihr vor, ihr eine schönere und bessere Welt zu zeigen. Sie kauft sich teure Dessous, verruchte Unterwäsche, von der ihre Mutter natürlich nichts wissen darf, keiner darf etwas davon wissen, außer diesem Mann. Sie schleicht sich davon und lässt ihre Mutter in dem Glauben, sie würde sich mit einer Freundin einen gemütlichen Abend machen. Nur, dass dieser gemütliche Abend tödlich enden würde, das hätte Juliane Albertz nie vermutet. Aber so ist nun mal dieses verdammte Leben, es trifft immer diejenigen, die ohnehin nicht auf der Sonnenseite stehen.«
    »Woher willst du wissen, dass sie mit ihrem Leben nicht zufrieden war?«, fragte Hellmer.
    »Keine Ahnung, nur so ein Gefühl. Wäre sie’s gewesen, hätte sie offen mit ihrer Mutter über alles gesprochen. Und ich kann mich in die Lage einer Frau ihres Alters versetzen, die sich nichts sehnlicher als eine Beziehung wünscht und …«
    »Und was?«
    »Vergiss es. Sie war nicht zufrieden mit ihrem Leben, aber sie konnte nicht mit ihrer Mutter darüber sprechen.«
    »Die war krank.«
    »Sie war doch nicht immer so krank. Sie hatte Heimlichkeiten vor ihr, weil sie wahrscheinlich wegen jedem Furz ein schlechtes Gewissen hatte. Ich bin sicher, ihre Mutter wusste bis zum Tod ihrer Tochter nicht einmal etwas von den Tagebüchern. Ah, Scheiße, es ist zum Kotzen.«
    »Okay, es ist zum Kotzen«, sagte Hellmer und fuhr über die Friedensbrücke Richtung Niederrad. »Aber du kannst nichts daran ändern, und ich auch nicht. Und wenn du kotzen willst, bitte, doch davon wird die Albertz auch nicht wieder lebendig. Und mach wenigstens das Fenster auf«, fügte er grinsend hinzu.
    »Idiot.« Sie zog eine Zigarette aus ihrer Tasche, zündete sie an undblätterte in einem der unverschlossenen Tagebücher, ohne zu

Weitere Kostenlose Bücher