Der Jakobsweg
und Sträuchern und wollen offenbar den richtigen Moment abpassen, um Inka zu überfallen und auszurauben. Als ich meinen Kopf in den Nacken lege und wie ein Wolf heule, grinsen diese hinterhältigen Kerle doch tatsächlich. Das macht mich wütend.
Na, denen werde ich Beine machen. Da Angriff die beste Verteidigung ist und in jedem Pilgerhund auch ein Höllenhund steckt, spurte ich los.
Spätestens jetzt merken meine Gegner, dass bei mir nicht nur rein äußerlich der Greyhound durchgeschlagen ist, sondern dass ich auch über dessen Schnelligkeit verfüge. Obschon sie die Beine unter den Arm nehmen, entgeht mir keiner. Ich tue ihnen zwar nichts, aber ich schlage sie alle in die Flucht. Von denen traut sich keiner mehr in unsere Nähe.
Und was macht Inka? Anstatt mir dankbar zu sein, schreit sie nach mir und schimpft mich aus. Hat natürlich keinen blassen Schimmer, dass ich einen heldenhaften Kampf geführt und die Wegelagerer bis ins hohe Heidekraut verfolgt habe. Ich bin drauf und dran, einen dieser Strolche zurückzuholen und auf sie zu hetzen...
Stattdessen sehe ich sie bloß mitleidig an. Ja, so ist das, die wahren Helden bleiben unerkannt.
Im strömenden Regen und bei ziemlich viel Wind überqueren wir einen Pass und erreichen kurz darauf eine kleine Ortschaft mit einem Gasthof, der geöffnet hat. Ich verkrieche mich hinter dem Ofen und so sitzen wir eine Weile im Trockenen.
Danach geht es wieder durch viel Matsche.
Ich versuche ein paar Schafe aufzuscheuchen. Die blöken zwar blöd, bleiben aber bei dem Hundewetter wie gelähmt liegen.
Aber alles hat irgendwann mal ein Ende. Unmittelbar vor einer großen Stadt hört der Regen auf. Und wieder rollt viel Blech an uns vorbei. Ich bin ziemlich kaputt. Trotzdem kriege ich mit, wie uns ein grüner Jeep überholt und dann mit quietschenden Reifen anhält. Ich bin natürlich sofort auf der Hut, beobachte argwöhnisch, was als nächstes passiert. Vermutlich handelt es sich um moderne Raubritter. Aber mit denen werde ich auch noch fertig. Ich drängle Inka ein wenig näher an den Straßenrand, damit sie sich notfalls in den Straßengraben retten kann.
Rechts und links werden die Türen aufgestoßen. Ich traue meinen Augen nicht. Das darf nicht wahr sein! Ist es eine Halluzination oder ist er es wirklich?
Da steigt doch tatsächlich Walti aus. Soll ich mich jetzt freuen? Klaro, ich freue mich mit Inka und darauf, dass ich heute keinen Meter mehr laufen muss.
Ursula, Waltis Fluglehrerin, ist übrigens auch dabei. Die beiden sind mit dem Flieger hierher gekommen, wie ich erfahre.
Walti hat Zimmer für uns alle in einem Hotel reserviert. Also, das muss ich ihm lassen: organisieren kann er. Zu Hause organisiert er es so, dass er die besten Sachen aus dem Kühlschrank abkriegt, und zwar ohne einen Finger zu krümmen. Inka bedient ihn dann nämlich von vorn bis hinten. Aber ich will nicht ungerecht sein, manchmal fällt auch für mich ein Häppchen ab.
Heute ist Mittwoch. Mittwoch ist normalerweise der Tag, an dem ich in die Qi-Gong-Gruppe zu Bruno Wiesmann gehe, der immer Ruhe und Gelassenheit vermittelt. Ein wenig wehmütig denke ich jetzt an Waltraud, die uns mit ihrer Fröhlichkeit stets in Schwung bringt, oder an Claudia, die vor Energie kaum zu bremsen ist. Meistens komme ich ziemlich abgehetzt an, aber dann genieße ich zusammen mit den anderen die Übungen, die wir stehend ausführen. Danach fühle ich mich sehr wohl und weiß, dass ich genügend Energie für die nächsten sieben Tage aufgetankt habe. In Gedanken an all die schönen Stunden fange ich an, die Übungen zu wiederholen, und dabei wird mir ganz warm.
Als wir losgehen, verändert sich das Wetter schlagartig. Der Himmel hängt voll dunkler Wolken und nach wenigen Kilometern, immer bergauf, fängt es an zu regnen. Also, Rucksack runter und Regenjacke an. Es wird sicher bald wieder aufhören. Von wegen! Es gießt in Strömen. Rucksack wieder runter und Regenhose an.
Ich laufe mit gesenktem Kopf. Trotzdem peitschen mir Wind und Regen ins Gesicht. Bald triefe ich vor Nässe und bin durchweicht bis auf die Haut. Mir ist kalt.
Da ich so sehr mit mir und den widrigen Umständen beschäftigt bin, habe ich längst aufgehört, nach Tila zu rufen. Sie macht sowieso, was sie will. Trotzdem mache ich mir Sorgen.
Ich habe gehört, dass herrenlose Hunde, die eingefangen werden, nach zehn Tagen eingeschläfert werden, sofern sich der Besitzer nicht meldet. Aber ich beruhige mich mit dem Gedanken, dass
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