Der Jakobsweg
für mich.
Es geht weiter und weiter. Stunde um Stunde. Ich weiß nicht, wie lange ich schon unterwegs bin. Mir ist das Gefühl für Zeit und Raum verloren gegangen. Ich gehe einfach weiter.
Tila rast pausenlos hin und her, jagt von einem Steinhaufen zum anderen.
Die kleine Ortschaft Hontanas liegt still und unberührt in der Sonne. Von hier aus sind es noch ungefähr zehn Kilometer bis zu unserem Tagesziel: Castrojeriz.
Bäume und Sträucher säumen unseren Pfad und geben hin und wieder den Blick auf die schmale Straße frei, die weiter unten verläuft. Schon bald vereinigen sich die beiden Wege und wir gelangen durch einen Gewölbebogen zum Kloster San Anton.
Ich mache an der Stelle Rast, wo die Pilger in früheren Zeiten eine warme Mahlzeit bekamen. Schon lange gibt es hier nichts mehr zu essen.
Das ehemalige Kloster ist eine Ruine, aber eine eindrucksvolle.
Mir tun die Füße weh. Ich entdecke eine neue Blase und habe mit einem Mal überhaupt keine Lust mehr, die restliche Strecke hinter mich zu bringen.
Doch es ist nicht mehr sehr weit. Tila schleicht inzwischen nur noch hinter mir her. Es wundert mich nicht, denn sie ist wie eine Verrückte durch die Gegend gelaufen und hat alles gejagt, was sich bewegte.
Ich bin so froh, als wir endlich Castrojeriz erreichen. Hier haben wir die große Auswahl: ein Hostal, ein Hotel und eine Pilgerherberge. Mit einem barmherzigen’ Lächeln auf den Lippen werden wir abgewiesen: überall.
So müssen wir weiter und schleppen uns sozusagen auf dem Zahnfleisch voran. Bald finden wir jedoch einen Platz, der mir als Schlaflager geeignet erscheint.
In diesem Augenblick möchte ich mit jemandem reden und versuche Walti anzurufen. Ich hocke in der freien Natur auf einer Anhöhe und bin in einem Funkloch gefangen.
Während uns das Essen schmeckt, liegt unter uns, in mildes Abendlicht getaucht, Castrojeriz. Allmählich verfliegt mein Zorn über den barmherzig lächelnden Herbergsvater und all die anderen freundlichen Menschen.
Der Anblick verzaubert mich und ich empfinde ihn als großes Geschenk. Still und andächtig verfolge ich, wie die Abendsonne versinkt. Ein grandioses Schauspiel, das von einem anderen abgelöst wird, als sich der Sternenhimmel öffnet. Ich sauge die Bilder in mich auf, bis mir die Augen überlaufen. Und ich muss weinen. Vor Glück.
11. Wandertag: Castrojeriz – Frómista – 26 km
Des Nachts sind wir zwar ein paar Mal von der Decke gerutscht, aber im Großen und Ganzen war es gar nicht so übel. Die Sonne steht schon am Himmel, als wir aufbrechen. Komisch, irgendwie fühle ich mich heute nicht so fit... egal.
Zunächst geht es ein ziemliches Stück bergauf, an der anderen Seite wieder runter und so erreichen wir unseren ersten Rastplatz.
Am Brunnen labe ich mich an dem kühlen Wasser.
Igittigitt! Das schmeckt ja grausig. He, Inka! Kannst du deine Zähne nicht woanders putzen?
Ich döse ein bisschen vor mich hin. Dabei spüre ich jeden Knochen einzeln. Nein, heute geht es mir wirklich nicht gut.
Nachdem wir gefrühstückt haben und es weitergehen soll, kann ich kaum noch aufstehen. Alles, aber auch alles tut mir weh. Schmerzen bis in die hinterste Kralle.
Inka schaut mich ganz überrascht an. Sie lacht und sagt: „Was ist denn mit dir los?“
Sie hat gut lachen und marschiert los. Ich schleiche hinter ihr her. Die reine Quälerei. Dann scheint sie zu merken, dass mit mir irgendetwas nicht stimmt, ist besorgt und trägt mich ein Stück. Aber ich bin ihr zu schwer. Und so trotte ich wie ein Häufchen Elend hinter ihr her.
Kurz hinter der kleinen Kirche San Nicolas hocken zwei Männer auf der Brücke, die über den Pisuerga führt, und angeln. Meine traurige Gestalt erweckt wohl Mitleid, denn einer schenkt mir sein Mittagsbrot. Oh, wie ich diesen spanischen Schinken liebe... Rasch die Butter abgeleckt, aber das Brot, nein, das sollen sie den Fischen spendieren.
Kaum stehe ich auf, spüre ich wieder diesen Schmerz in allen Gliedern. Ich schlurfe jetzt nur noch.
Nach einer Weile geht es etwas besser.
Trotzdem, der Tag erscheint mir unendlich lang. Zum Glück finden wir gleich auf Anhieb ein Zimmer. Ich bin froh mich hinlegen zu können. Vielleicht sollte ich gar nicht mehr aufstehen.
Wie benommen wache ich am Morgen auf. Mich fröstelt. Es ist aber nicht unangenehm, eher prickelnd. Die Sonne steht schon hoch am Himmel. Ein großartiger Tag scheint vor mir zu liegen.
Die Morgenfrische beflügelt mich. Ich staune, wie es heute
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