Der Jakobsweg
reden, wenn es für ihre Arbeit unerlässlich ist. Beschämt danke ich dem Mann in der weißen Ordenstracht, indem ich nicke und lächle. Ohne Worte überreiche ich dem anderen Mönch, der an einem Pult steht, mein Pilgerbuch.
„Dieser Ausweis berechtigt mich, in den offiziellen Pilgerherbergen zu übernachten˝, erkläre ich Walti und zeige ihm stolz die Stempel, die ich bereits dort oder in Kirchen erhalten habe.
„Und man sammelt sie, weil sie zum Teil sehr schön sind˝, stellt Walti fest.
„Auch!“, lache ich. „Falls man mehr als 150 Kilometer gegangen ist, erhält man in Santiago de Compostela, die ,Compostela´, eine Art Ablassbrief. ˝
„Das heißt, dann bist du frei von allen Sünden. ˝
„Sozusagen! ˝, lache ich.
„Und was ist, wenn ein Pilger ein Stück des Wegs mit dem Auto fährt? ˝, fragt Walti verschmitzt lächelnd.
„Ich glaube kaum, dass überprüft wird, wie man nach Santiago kommt˝, erwidere ich, „aber es ist doch wohl Ehrensache zu Fuß zu gehen. ˝
Ursula sitzt mit Tila vor dem Hotel und genießt es offenbar, auch mal ein wenig Ruhe zu haben.
Den Abend verbringen wir gemeinsam mit einem guten Tropfen und einem vorzüglichen Nachtmahl, bei dem viel erzählt wird.
10. Wandertag: Burgos – Castrojeriz – 38 km
Also, gestern habe ich mich fantastisch erholt. Ursula war ziemlich pflegeleicht und hat mir keinen Kummer bereitet. Ein kleines Missverständnis gab’s allerdings. Ich wollte mit ihr zum Flughafen fahren, ihr Burgos vom Flieger aus zeigen und beweisen, dass ich nicht nur ein guter Pilgerhund, sondern auch ein ausgezeichneter Flughund bin. Wurde aber nichts draus. Ich konnte sie ja nicht zwingen. Sie hat sich lieber vors Hotel gesetzt und in die Sonne geblinzelt. Da sie sich ruhig verhielt, konnte ich getrost ein wenig schlafen und neuen Abenteuern entgegenträumen.
Inka ist heute ziemlich still. Ich glaube, sie ist traurig, weil Ursula und Walti in aller Herrgottsfrühe abgedüst sind. Ich habe die beiden ja auch gern, bin aber froh, wieder unterwegs zu sein.
Das Wetter ist herrlich und die nordkastilische Hochebene erweist sich als wahres Jagdparadies: überall Kaninchen, Vögel, Rebhühner...
Ich bin den ganzen Tag im Einsatz gewesen.
Jetzt noch ein gutes Nachtessen, ein schönes Plätzchen zum Schlafen und die Welt ist in Ordnung. Aber wie das so ist: Es kommt anders, als man denkt.
An unserem vermeintlichen Ziel werden wir mehrmals eiskalt lächelnd abserviert. Inka tut mir Leid. Sie war genauso froh wie ich, endlich anzukommen und ein Dach überm Kopf zu haben. Und nun das.
Sie hat Tränen in den Augen und ich tröste sie.
Inkas Entscheidung finde ich sehr anständig. Sie hätte mich durchaus allein vor irgendeiner Unterkunft sitzen lassen und es sich drinnen gemütlich machen können. Hat sie aber nicht.
Sie sagt: „Hier bleiben wir nicht. ˝
Und so folgen wir den gelben Pfeilen bergauf. Auf halber Höhe finden wir ein wunderschönes Plätzchen für die Nacht Inka erklärt, der nächste Ort liege zu viele Kilometer entfernt, deshalb müssten wir in dieser Wildnis übernachten.
Wir packen meine Decke und Inkas Schlafsack aus und essen unser sehr bescheidenes Nachtmahl in trauter Zweisamkeit.
Als es dunkel wird, tut sich ein imposanter Sternenhimmel auf, der uns wieder mit diesem unfreundlichen Dorf versöhnt, das im Mondschein friedlich dort unten schlummert.
Ich erinnere plötzlich, dass es unter freiem Himmel bitterkalt werden kann und Inka ein Stadtmensch ist. Damit sie die Nacht lebend übersteht, krieche ich zu ihr in den Schlafsack und halte sie schön warm.
Wenn sie mich nicht gehabt hätte, wäre die Reise wahrscheinlich für sie zu Ende gewesen.
Der Abschied stimmt mich traurig. Mir stehen Tränen in den Augen. Walti nimmt mich ganz fest in den Arm und gibt mir gute Wünsche mit auf den Weg. Ich bin traurig und glücklich zugleich, denn es ist schön, wenn man sich lieb hat und weiß, dass es nicht selbstverständlich ist.
Zu Hause verläuft das Leben in geregelten Bahnen; man bemerkt den anderen oft nicht, alles scheint einem so selbstverständlich zu sein. Doch jetzt sehe ich es plötzlich mit anderen Augen. Es ist wie ein großartiges Geschenk. Ursula scheint meine Gedanken lesen zu können. Sie verabschiedet sich sehr herzlich von mir. Ihr fester Händedruck und ihr Blick verraten, was sie mir mitgeben will: nur das Beste.
Der Weg ist nicht besonders beschwerlich. Ruhe und Einsamkeit sind heute genau das Richtige
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