Der Janson-Befehl
Mannes in der Suite dort unten. Eines Mannes, der ein halbes Jahr seines Lebens dafür gegeben haben musste, sich von der chirurgischen Behandlung zu erholen, die sein Äußeres total verändert hatte. Ein Mann, der - mit oder gegen seinen Willen - seine eigene Identität dem brillanten Wahnsinnigen geopfert hatte, der die Zukunft der Welt in seinen Händen hielt. Wenn er getötet wurde, hätte Janson den letzten noch verbleibenden Zugang zu Demarest verloren.
Und wenn er ans Rednerpult trat, würde er getötet werden.
Der Plan, den sie in Bewegung gesetzt hatten, konnte nicht gestoppt werden. Sie hatten ihn nicht unter Kontrolle: Das war es, was ihn so aussichtsreich machte - und möglicherweise sein tödlicher Schwachpunkt.
Verzweifelt schaltete Janson auf die Kamera, die auf die Delegation von Mansur gerichtet war. Dort - der Gangplatz, auf dem der Kalif gesessen hatte.
Leer.
Wo war er?
Janson musste ihn finden: Das war ihre einzige Chance, die Katastrophe zu verhindern.
Er schaltete sein Mikrofon ein und sprach, wusste, dass seine Worte im Ohr des Generalsekretärs klingen würden.
»Sie müssen Novaks Auftritt verschieben. Ich brauche zehn Minuten.«
Der Generalsekretär saß auf der hohen Marmorbank hinter dem Rednerpult, lächelte und nickte. »Das ist unmöglich«, flüsterte er, ohne dass sich sein für die Öffentlichkeit bestimmter Gesichtsausdruck dabei änderte.
»Tun Sie es!«, sagte Janson. »Sie sind der Generalsekretär, verdammt noch mal! Lassen Sie sich etwas einfallen.«
Und rannte die mit Teppich belegte Treppe hinunter, auf den Korridor zu, der an den Versammlungssaal grenzte. Er musste den Fanatiker aus Anura finden. Dieser Meuchelmord würde die Welt nicht retten; er würde ihr Untergang sein.
41
Janson rannte durch den Flur, seine Gummisohlen erzeugten auf den weißen Marmorfliesen kaum ein Geräusch. Der Kalif war aus der Halle verschwunden -und das deutete vermutlich darauf hin, dass er gerade damit beschäftigt war, sich eine Waffe zu holen, die er oder ein Helfer vorher versteckt hatten. Die Lobby, strahlend beleuchtet von dem Licht, das durch die Glaswand hereinfiel, war leer. Auf der riesigen Rolltreppe war niemand zu sehen. Er rannte zum Aufenthaltsraum der Delegierten. Auf einem weißen Ledersofa saßen, ins Gespräch vertieft, zwei blonde Frauen: Ihrem Aussehen nach gehörten sie zu einer skandinavischen Delegation und hatten in der Halle keinen Platz mehr gefunden. Sonst niemand.
Wo konnte er sein? Janson sortierte fieberhaft die verschiedenen Möglichkeiten, die es gab.
Stell die Frage anders: Wo würdest du sein, Janson?
Die Kapelle. Ein langer, schmaler Raum, der fast nie benutzt wurde, aber stets geöffnet war. Er befand sich unmittelbar neben der Suite des Generalsekretärs, auf der anderen Seite der gerundeten Wand, die an die Versammlungshalle grenzte. Der einzige Raum in dem Gebäude, wo man garantiert unbeobachtet war.
Janson legte wieder einen Spurt ein, und wenn auch die Gummisohlen seiner Schuhe kaum ein Geräusch erzeugten, so ging doch jetzt sein Atem schwerer.
Er stieß die schwere, schalldichte Tür auf und sah einen Mann im fließenden weißen Gewand, der sich hinter einem großen schwarzen wie ein Altar wirkenden Quader bückte. Als sich die Tür hinter Janson schloss, wirbelte der Mann herum.
Der Kalif.
Einen Augenblick packte Janson derartiger Hass, dass er kaum atmen konnte. Dann zwang er seine Gesichtszüge in eine Maske freundlicher Überraschung.
Der Kalif sprach zuerst. »Khaif hallakya akhi.«
Janson erinnerte sich an seinen voluminösen Bart und seine Kopfbedeckung im arabischen Stil und zwang sich zu lächeln.
Er wusste, dass der Mann ihn in Arabisch angesprochen hatte; wahrscheinlich war es eine harmlose Höflichkeitsfloskel, aber er konnte das nur vermuten. Im besten Oxbridge-Englisch, zu dem er fähig war - ein Angehöriger eines arabischen Königshauses konnte sehr wohl an einem solchen Institut erzogen worden sein und sich dessen Gewohnheiten zugelegt haben -, sagte er: »Mein lieber Bruder, ich hoffe, ich habe dich nicht gestört. Ich hatte nur schreckliche Migräne und hatte gehofft, mit dem Propheten selbst in Verbindung treten zu können.«
Der Kalif kam auf ihn zu. »Aber wir würden es doch beide bedauern, mehr von den Feierlichkeiten zu versäumen, wo wir von so weit hergekommen sind. Findest du nicht auch?«
Seine Stimme klang wie das Zischen einer Schlange.
»Du sprichst wahr, mein Bruder«, sagte Janson.
Als der
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