Der Janusmann
blieb auf dem Klodeckel sitzen. Ich war kein Fachmann für Telekommunikation, wusste jedoch, dass Telefonleitungen gelegentlich beschädigt wurden und Mobilfunkverbindungen manchmal unzuverlässig waren. Aber wie hoch war die Wahrscheinlichkeit, dass jemandes Festnetzverbindung im selben Augenblick abriss, in dem auch der nächstgelegene Mobilfunkmast wegen einer Störung ausfiel? Ziemlich gering, vermutete ich. Also musste es sich um eine absichtlich herbeigeführte Störung handeln. Aber wer hatte sie veranlasst? Nicht die Telefongesellschaft. Die würde Wartungsarbeiten nicht ausgerechnet an einem Freitagnachmittag vornehmen lassen. Und sie hätte niemals Festnetz und Mobilfunknetz gleichzeitig stillgelegt.
Wer hatte die Unterbrechung also organisiert? Vielleicht ein staatlicher Dienst mit großem Einfluss. Vielleicht einer wie die DEA. Vielleicht rückte sie an, um das Dienstmädchen zu retten. Vielleicht rollte ihr SWAT-Team als Erstes das Schmuggelunternehmen im Hafen auf und wollte so verhindern, dass Beck gewarnt wurde, bevor es sich sein Haus vornehmen konnte.
Aber das war unwahrscheinlich. Die DEA hätte mehr als nur ein SWAT-Team zur Verfügung gehabt. Sie würde die beiden Unternehmen parallel ablaufen lassen. Und selbst wenn sie das nicht tat, wäre es ein Kinderspiel gewesen, die Straße zu Becks Haus irgendwo nach der letzten Abzweigung zu sperren. Beck saß in seinem Haus in der Falle, ob er nun telefonieren konnte oder nicht.
Wer also?
Vielleicht Duffy,wieder mal inoffiziell. Ihr Status konnte ihr dazu verhelfen, dass ein Manager einer Telefongesellschaft ihr einen Gefallen tat. Geografisch beschränkt. Eine einzelne Telefonleitung, die auf eine abgelegene Landzunge hinausführte. Und einen Mobilfunkmasten, der wahrscheinlich irgendwo an der I-95 stand. Seine Abschaltung hätte zur Folge, dass Autofahrer ein Funkloch mit dreißig Meilen Durchmesser durchqueren mussten, aber das hatte sie vielleicht hinbekommen. Vor allem, wenn der Gefallen zeitlich beschränkt war: auf vier oder fünf Stunden.
Und welchen Grund konnte Duffy dafür haben? Darauf gab es nur eine mögliche Antwort: Sie hatte Angst um mich.
Die Leibwächter waren entkommen.
10
Zeit. Entfernung geteilt durch Geschwindigkeit – eventuell mit Richtungskorrektur – ergibt Zeit. Ich hatte entweder genug davon oder gar keine. Worauf es letztlich hinauslaufen würde, wusste ich nicht. Die Leibwächter waren in dem Motel in Massachusetts, in dem wir unseren acht Sekunden dauernden Überfall geplant hatten, gefangen gehalten worden. Es lag mindestens zweihundert Meilen südlich von hier. So viel wusste ich sicher. Der Rest war reine Spekulation. Aber ich konnte mir ein plausibles Szenarium vorstellen.
Die beiden waren aus dem Motel ausgebrochen und hatten einen Dienstwagen, einen DEA-Taurus, gestohlen. Damit waren sie ungefähr eine Stunde lang mit großer Geschwindigkeit dahingerast. Sie wollten möglichst viel Abstand gewinnen. Vielleicht hatten sie sich in der Wildnis zuerst etwas verfahren, dann jedoch die Orientierung zurückerlangt und den Highway erreicht. Waren nach Norden weitergebraust. Hatten sich mit der Zeit beruhigt und waren langsamer gefahren, um nicht gestoppt zu werden. Hatten Ausschau nach einem Telefon gehalten.
Inzwischen konnte Duffy die Verbindungen bereits gekappt haben. Sie hatte schnell gehandelt. Deshalb war der erste Halt der beiden Männer reine Zeitverschwendung gewesen. Sie hatten vermutlich etwa zehn Minuten gebraucht, um vom Highway abzubiegen, zu parken, hier anzurufen, die Nummer von Becks Handy zu wählen, wieder loszufahren und sich in den Verkehrsstrom einzuordnen. Dieser Vorgang würde sich an der nächsten Raststätte wiederholt haben. Den ersten Fehlschlag würden sie auf eine zufällige technische Panne zurückgeführt haben. Wieder zehn Minuten vergeudet. Nun würden sie vielleicht das System dahinter erkennen oder sich überlegen, dass sie schon nahe genug waren, um selbst nachsehen zu können. Vielleicht auch beides.
Insgesamt also etwa vier Stunden. Aber wann hatten diese vier Stunden begonnen? Das konnte ich nicht beurteilen. Der mögliche Zeitraum reichte von vier Stunden bis zu ungefähr einer halben Stunde. Mir blieb entweder genügend Zeit oder gar keine.
Ich verließ rasch das Bad und sah aus dem Fenster. Der Regen hatte aufgehört. Draußen war es dunkel. Die Scheinwerfer entlang der Mauer brannten. Dahinter herrschte absolute Dunkelheit. Keine Autoscheinwerfer in der Ferne.
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